Helmstedt. Der Naturschutzbund (Nabu) Deutschland ist seit vielen Jahren dafür bekannt, verschiedene Aktionen zum Artenerhalt zu starten. Unter anderem legt er großen Stellenwert auf den Erhalt von Schwalben. Manfred Gittner vom Helmstedter Nabu-Kreisverband hat dem HELMSTEDTER SONNTAG einen spannenden Rückblick zukommen lassen auf eine ganz besondere Schwalbenaktion.  blickt auf eine besondere Hilfsaktion im Jahr 1974 zurück, als Schwalben gerettet werden mussten.

Es war wohl die größte Artenschutz-Hilfsaktion in der über 100-jährigen Geschichte des Nabu: Als im Herbst 1974 unzählige Mehl- und Rauchschwalben von einem plötzlichen Wintereinbruch überrascht wurden, sorgte der damalige Deutsche Bund für Vogelschutz (DBV) – heute Nabu – zusammen mit vielen weiteren Vogelfreunden für den Transport von mehr als einer Million Vögeln per Auto, Bahn und vor allem Flugzeug. In Norditalien und Südfrankreich wurden die Schwalben dann wieder freigelassen. Einen Rückblick auf die Aktion liefert Manfred Gittner mit der Zusendung zweier Beiträge aus der Mitglieder-Zeitschrift „Wir und die Vögel“ aus dem Jahr 1975.

Rolf J. A. Grieg schrieb unter dem Titel „Ich flog mit den Schwalben“ folgenden Erlebnisbericht:

18. 10. 74. Ich sitze in einer Boeing 727 der Deutschen Lufthansa. Flugnummer LH 306 von Frankfurt/Main – Abflug 13 Uhr – nach Genua. An Bord: 140 Passagiere, außerdem etwa  2.000 Schwalben. Es sind Rauch- und Mehlschwalben, die aus dem regennassen, kalten Hessenland in den sonnigen Süden geflogen werden. Genau 446 Schwalben stammen aus der Sammelstelle des DBV-Kreisverbandes „Kinzig“ – Gelnhausen-Schlüchtern -“ die wir in Meerholz eingerichtet haben. Warum ich mitfliege? Es gab so viel Hin und Her, Hü und Hott, Für und Wider zur „Schwalbenaktion“ – ich will’s mit eigenen Augen sehen, wie unsere Schützlinge den Flug überstehen, wie sie südlich der Alpen ankommen. Anflug. Sehr langsam nur verliert das Flugzeug an Höhe. Flugerfahrene Mitreisende wundern sich. Das bedächtige Hinabgleiten geschieht der Schwalben wegen. Erstaunlich, wieviel Sorgfalt der Flugkapitän aufwendet für unsere gefiederten Freunde. Was hatte ich da an einer Tür in der Bezirksfrachtverkaufsleitung gelesen: „Wir tun was. Lufthansa.“ Nicht nur das. Sie tun’s auch mit Hingabe. Großartig!

Hervorragend auch die gesamte Organisation der Dinge in Genua. Sie liegt bei unserer Ankunft in den Händen von Silvano Stefanacci, einem „Assistant Station Manager“. Etwa 15 Minuten nach der Landung werden die „Schwalben-Kartons“ geöffnet. Alles geschieht – wie schon in Frankfurt beim Verladen – unbürokratisch, engagiert, fast liebevoll.

Die 2.000 Schwalben teilen sich in etwa 70 Prozent Mehl- und 30 Prozent Rauchschwalben. Wie haben sie wohl den Flug überstanden? Offensichtlich gut! Denn schwirrendes Flügelschlagen erfüllt die Luft – unsere gefiederten Freunde fliegen in die Freiheit.

Nur 40 Exemplare – neun Mehl- und 31 Rauchschwalben – sind tot. Der höhere Anteil an Rauchschwalben geht darauf zurück, dass diese Vögel schon in weniger guter Verfassung die Reise überhaupt angetreten haben. Hunderte von Schwalben sind in den letzten Tagen durch meine und meiner Freunde Hände gegangen. Übereinstimmend stellten wir fest, dass die Rauchschwalben besonders abgemagert waren. Und wie geht es den „blinden Passagieren“ aus dem Kinzigtal? Von den 446 Vögeln haben nur sieben die Reise nicht überstanden. Interessant was jetzt zu beobachten ist: Rauch- und Mehlschwaben trennen sich sofort nach dem Auflassen. Die Rauchschwalben streben in Bodennähe dem Ufer zu; sie beginnen sofort mit der Nahrungsaufnahme. Mehlschwalben sehe ich in Gruppen auf Leitungsdrähten sitzen. Sie putzen sich, ordnen das Gefieder. Vereinzelt höre ich sogar ein Zwitschern. Nach zehn Minuten beginnen auch sie mit der Jagd nach Fluginsekten und zwar in einer Höhe von zehn bis 20 Metern und ausschließlich über dem Festland. Im Verlauf der nächsten Stunde beobachte ich, wie sich die Schwalben entfernen, Richtung Norden – zunächst. Die Rauchschwalbe folgt weiterhin dem Ufer, die Mehlschwalbe fliegt dem Häusermeer der Stadt zu. Was hatte man mir vorhin erzählt? Italienische Zeitungen hätten berichtet, die freigelassenen Schwalben zogen nach Deutschland zurück! Zu diesem Trugschluss mag man gekommen sein, als man den Aufbruch der Scharen in nördlicher Richtung beobachtete. Eine große Freude erfüllt mich nach all diesen Beobachtungen. Unsere Arbeit war also nicht umsonst! Nächtelang hatten Vogelfreunde Schwalben aus den Nestern und von Schlafplätzen weggeholt, um sie mit Hackfleisch und Mehlwürmern füttern und mit dieser Wegzehrung versehen zum Flughafen bringen zu können. Ihr Einsatz war plötzlich in Frage gestellt, als verbreitet wurde, dass mehr als 70 Prozent der aus Hessen ausgeflogenen Schwalben zugrunde gegangen seien, als man von falscher Tierliebe predigte… Viele hilfsbereite Menschen haben nun gezögert, Vogelschutzgruppen blieben inaktiv. Aus meiner Sicht war das Verbreiten solcher Nachrichten nicht zu verantworten. Krass ausgedrückt; es war Vogelmord!

(aus: „Wir und die Vögel“, Heft 1/1975, S. 18)

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Die ganze Story schrieb Klaus Ruge unter dem Titel „Die Schwalbenhilfe in Südwestdeutschland“ nieder:

Die Mehlschwalbe, Jahresvogel 1974, wurde von einem frühen Wintereinbruch überrascht. Groß war die Beteiligung an der Schwalbenhilfsaktion im Herbst 1974, und das Ergebnis lässt sich sehen: Allein aus der Bundesrepublik sind mindestens eine Million Schwalben per Flugzeug, per Bahn und per Auto in den Süden transportiert worden. Die meisten Vögel wurden in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen verfrachtet. Aber auch im Saarland und in Nordrhein-Westfalen beteiligte man sich an der Aktion. Besonders in Hessen und im Saarland wurden Fangaktionen mit generalstabsmäßiger Exaktheit geplant und durchgeführt. Ebenso gut organisiert war der Südflug. Groß und Klein, Feuerwehr und Polizei, beteiligten sich beim Schwalbenfang.

„Rund 1,5 Millionen Schwalben wurden verschickt“

In Baden-Württemberg war die Staatliche Vogelschutzwarte Zentralstelle für alle Schwalbenretter. Unser Bericht stützt sich vor allem auf Angaben dieser Institution, obwohl an vielen anderen Orten gleich wichtige Erfahrungen gesammelt wurden. Allein über den Flughafen Echterdingen bei Stuttgart wurden mehr als 250.000 Schwalben ausgeflogen. Über 200.000 Schwalben wurden von Freiburg aus, vor allem in die Carmargue, gefahren. 130.000 verließen Frankfurt auf dem Luftweg und über 60.000 wurden vom Saarland ausgeflogen. Noch liegen nicht alle Zahlen vor, doch darf man damit rechnen, dass zusammen mit den schweizerischen Schwalben rund 1,5 Millionen Schwalben verschickt worden sind.

Trotz der widersprüchlichen Angaben waren die Ausfälle bei den Transporten gering. Hier und da wurden Verlustquoten von 50 Prozent angegeben, wobei aber nie gesagt wurde, wie hoch die Zahl der transportierten Vögel gewesen ist und unter welchen Umständen der Vogeltransport stattfand. Wenn die Vögel bald nach dem Transport verfrachtet wurden oder wenn sie vor dem Transport gefüttert wurden, waren die Verluste gering. Bedienstete der Staatlichen Vogelschutzwarte für Baden-Württemberg haben Schwalbentransporte begleitet. Rückmeldungen der Lufthansa geben weitere Aufschlüsse.

In der ersten Woche bewegten sich die Ausfälle zwischen einem und fünf Prozent. Sogar bei einem Transport von mehr als 50.000 Schwalben wurde diese Grenze nicht überschritten. Gegen Ende der Aktion allerdings stiegen die Verlustraten.

So waren bei einem Charterflug nach Montpellier rund 15 Prozent der Schwalben gestorben. Das lag vor allem daran, dass Vögel, besonders aus Berggegenden, schon so weit geschwächt waren, dass sie den Transport nicht mehr überstanden. Aufschlussreich war auch, dass die Artenzusammensetzung nicht immer gleich war. Bestand der Transport zu Anfang aus rund 95 Prozent Mehlschwalben und etwa fünf Prozent Rauchschwalben, wandelte sich das Bild innerhalb einer Woche erheblich. Die Zählung der toten Vögel gab ein Verhältnis von 45 Prozent Rauchschwalben und 55 Prozent Mehlschwalben.

Rauchschwalben waren widerstandsfähiger als Mehlschwalben

Vermutlich spiegelt die Zahl der toten Vögel nicht das wahre Verhältnis wider, denn die Erfahrung zeigte, dass Rauchschwalben etwas widerstandsfähiger waren als Mehlschwalben. Für den Transport haben sich übrigens Kartons von Schuhkartongröße oder etwas größerem Ausmaß am besten bewährt. Und als Unterlage war einfaches Zeitungspapier am besten. Völlig ungeeignet waren Sägespäne, denn darin erstickten die Schwalben.

Die Schwalbentragödie nördlich der Alpen währte über einen Monat lang. Als in den Schweizer Alpentälern die Vögel schon zu zigtausenden starben und viele Vögel über Basel und Zürich ausgeflogen wurden, bahnte sich im südwestdeutschen Raum das Unglück erst an. Als das Ausmaß der Katastrophe zu übersehen war, organisierten der Deutsche Bund für Vogelschutz und die Staatliche Vogelschutzwarte in Ludwigsburg einen Nottransport für Schwalben. Die Bundesbahn erklärte sich bereit, Schwalben kostenlos von allen Bahnhöfen in Baden-Württemberg nach Basel zu transportieren. Die Swiss-Air nahm Tausende von Schwalben als Beigut auf. Die Lufthansa zögerte zunächst, erwies sich aber bei der weiteren Aktion als beständigster Partner.

Nachdem die Aktion in Baden-Württemberg einige Tage gelaufen war und die Swiss-Air, wie es hieß, von der Schweiz aus die Transporte eingestellt hatte, kam ein Notruf von der Schweizerischen Vogelwarte Sempach. Die Sempacher berichteten, dass sich in Bellinzona die Schwalben stauten. Sie baten uns, keine weiteren Schwalben nach Bellinzona zu senden. Schon vorher hatten wir versucht, die Schwalben aus dem südwestdeutschen Raum möglichst im Süden zu streuen, also nicht nur nach Bellinzona oder Italien zu senden sondern auch nach Südfrankreich oder Spanien. Bei der Schwalbenkatastrophe im Jahre 1931 hatte man nämlich festgestellt, dass ausgehungerte Schwalben vom Auflassungsort nicht fortzogen. Sie mussten sich erst wieder dick fressen, um dann auf die weitere Reise zu gehen.

Daraufhin versuchten wir die Bahntransporte nach Basel zu stoppen und alle Schwalbensendungen über Echterdingen in den Süden zu leiten. Es wurden Sammeltransporte organisiert, von Hauingen über Offenburg nach Echterdingen, von Ulm und Biberach und von vielen anderen Orten mehr.

Auch die Bundeswehr war beteiligt

Aber nicht nur Linienmaschinen nahmen Schwalben auf, auch die Bundeswehr machte einige Male in Echterdingen Zwischenlandung und nahm auch von anderen Orten aus Schwalbentransporte mit nach Sardinien oder Portugal. Am 12. Oktober waren zunächst 10.000 Schwalben vom DBV-Kreisverband Pfalz angekündigt worden, tatsächlich kamen dann über 50.000 Schwalben von Landau nach Stuttgart-Echterdingen. Da schafften es die Linienmaschinen nicht mehr. In dem Augenblick sprang das Tierhilfswerk Heidelberg in die Bresche und charterte eine Maschine, die nach Nizza flog. Dr. Wankel, der Konstrukteur des Wankel-Motors, übernahm die Garantie, die Chartersumme abzudecken, ehe das Geld von den anderen Beteiligten zur Verfügung gestellt wurde.

Außer dem Bund für Vogelschutz hat sich übrigens das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt in Baden-Württemberg mit einem namhaften Betrag an den Schwalbentransporten beteiligt. An jenem Tag wurden von Echterdingen etwa 80.000 Schwalben ausgeflogen. Eine Woche später am 19. Oktober flog nochmals eine Chartermaschine. Allerdings kamen nur wenig über 30.000 Vögel nach Echterdingen. Wir hatten mehr Vögel erwartet. Aber wegen der ungünstigen Wetterlage waren viele schon gestorben. An jenem Sonnabend war die Bilanz weniger günstig. Von den ermatteten Vögeln starben etwa 15 Prozent. Aber selbst das scheint uns noch tragbar zu sein, denn nördlich der Alpen wären die Vögel mit großer Wahrscheinlichkeit verhungert.

Der gesamte Tierschutz wurde von einigen in Frage gestellt

Über den Erfolg der Aktion kann man noch nicht allzu viel sagen. Bei dem Charterflug vom 12. Oktober 1974 betrugen die Flugkosten pro Schwalbe zwischen 20 und 30 Pfennigen. Das erscheint wahrlich nicht zu viel, zumal wenn man bedenkt, dass an jenem Tag in Stuttgart ein Feuerwerk für 15.000 DM abgebrannt wurde, das sogar als billig bezeichnet wurde. Soviel hat der ganze Charterflug nicht gekostet. War die Aktion überhaupt sinnvoll? Die Auffassungen über den Sinn des Schwalbentransportes waren nicht einheitlich. Die einen bezeichneten das Einsammeln erschöpfter Tiere als größten Unsinn, die anderen feierten die Schwalbenrettung als tier- und vogelschützerische Großtat. Was war richtig? Die Menschen in Stadt und Land hörten von beidem. Sie waren zu wenig fachkundig, um sich selbst ein Urteil bilden zu können und sie fühlten sich hin- und hergerissen. Jene, die gleichsam als Vertreter des Allmächtigen verkündeten, man solle die Natur walten lassen, setzten sich auf ein zu hohes Ross und ihre rechte Hand wusste nicht, was die linke tat. Denn die logische Folgerung dieser Äußerung wäre ja auch: Aufgabe der Bewachung von Wanderfalken-Brutplätzen, Abbau der raffiniertesten technischen Einrichtungen an den Horsten der Seeadler, Aufhören damit, Bruten von seltenen Vögeln durch Blechstreifen unter der Höhle zu schützen, heißt, die Feinde seltener Arten sich ungestört vermehren zu lassen, schließlich den Vogelschutz überhaupt in Frage zu stellen.

Alles, was Vogelschützer heute tun, sind Eingriffe in „natürliche Abläufe“. Tatsächlich gibt es in der vom Menschen gestalteten Natur fast keine wirklich natürlichen, also vom Menschen unbeeinflussten Abläufe. Es wurde gesagt, die Mehlschwalbenbestände würden sich schnell erholen. Die Kolonie von Riet, in der Nähe Stuttgarts aber, die seit vielen Jahren kontrolliert wird, hat sich seit dem ungünstigen Jahr 1969 bis zum Sommer 1974 noch nicht wieder ganz erholen können.

Und wer sagt, die Schwalbenkatastrophe von 1931 habe den Schwalbenbestand auch nicht umgebracht, verkennt, dass die Katastrophe damals keineswegs so weiträumig war wie im letzten Herbst. Das bestätigen auch Fachleute, wie zum Beispiel0 Dr. Hans Löhrl, der Leiter des Max-Planck-Institut in Radolfzell. Sicher ist die Mehlschwalbe noch nicht vom Aussterben bedroht. Aber ihre Bestande sind in den letzten Jahren zurückgegangen. Auch darum hatte der Deutsche Bund für Vogelschutz im Jahre 1974, im Jahre seines 75-jährigen Jubiläums, die Mehlschwalbe als Jahresvogel gewählt. Man wollte verstärkt auf den Schutz der Mehlschwalbe hinweisen.

Können sich gar  nicht „verfliegen“: Schwalben sind Breitfrontzieher

Einige weitere, wenig stichhaltige Einwände gegen den Schwalbentransport nach Süden wurden verschiedentlich vorgebracht. So sagte man zum Beispiel, die Schwalben würden nicht die Möglichkeit haben, sich in dem neuen Gebiet zu orientieren, sie würden so weit fliegen, dass sie irgendwo ins Meer purzelten. Aber Schwalben, das bestätigen Vogelzugexperten, sind ausgesprochene Breitfrontzieher. Sie sind nicht auf einen ganz bestimmten Weg festgelegt. Über die ganze Breite Europas fliegen sie in den Süden beziehungsweise Südwesten mit dem Ziel Afrika. Dort, wo sie Futter finden, halten sie sich auf. Ob sie in dem riesengroßen Afrika 400 oder 500 Kilometer weiterfliegen oder nicht, das wird kaum eine Rolle spielen. Absolut falsch ist die Behauptung, die eingesammelten Schwalben hätten sich in einem guten Ernährungszustand befunden.

Gewichtsprüfungen, die in Ludwigsburg durchgeführt wurden, zeigten eindeutig, dass die Schwalben sehr stark untergewichtig waren. Die Gewichte lagen nicht, wie es eigentlich sein sollte, zwischen 16 und 25 Gramm, sondern manche Vögel wogen nur ganz wenig mehr als acht Gramm. Sie hatten also kaum die Hälfte des Normalgewichtes. Stark unterernährte Schwalben aber würden den Zug über die Alpen zweifellos nicht geschafft haben, denn die Alpen waren eine riesengroße Eisbarriere. Und Piloten von Sportmaschinen berichteten, dass die Gletscher und Schneefelder der Alpen schwarz gewesen seien, schwarz von Vogelleichen. Die Alpen waren für die geschwächten Vögel eine unüberwindliche Barriere.

Hinweis dafür, dass die Schwalben, die sich in Nestern oder unter Dächern beziehungsweise in Räumen sammelten, geschwächte Tiere waren, ist die Beobachtung, dass besonders an kühlen, insektenarmen Tagen die Schwalben zu den Häusern kamen und die Zahl der toten Vögel, die von den Gesimsen oder Nestern herabgefallen waren, dann anstieg. Auch wenn das Ganze nur ein Experiment gewesen sein mag oder eine Tat aus „Ehrfurcht vor dem Leben“, der Aufwand war nicht zu hoch. Auch dann nicht, wenn man den Einsatz der vielen Helfer mit berücksichtigt.

„Dinge, die weit weg von uns geschehen, berühren und weniger“, dabei ist „das biologische Wesen Mensch nun einmal auf einen verhältnismäßig kleinen Aktionsraum hin geplant“

Ein anderer Einwand, der gern bei Nachrichten als effektvoller Anhang zu Schwalbenmeldungen gebracht wurde, war, man solle doch lieber an die leidenden Menschen in zum Beispiel Bangladesch denken. Wir meinen, Bangladesch und die Schwalbenaktion sind zwei grundverschiedene Dinge. Menschen fühlen sich durch das, was unmittelbar um sie herum vorgeht, stärker betroffen. Wenn bei uns gleichzeitig Menschen durch Katastrophen betroffen worden wären, würde man sich zweifellos um die Menschen gekümmert haben. Aber das biologische Wesen Mensch ist nun einmal auf einen verhältnismäßig kleinen Aktionsraum hin geplant. Dinge, die weit von uns weg geschehen, berühren uns weniger, auch wenn es sich um vergiftete Vögel in Südspanien oder um die Tiere in Afrika handeln mag. Erst gedanklich, durch Nachdenken und Reflektion erreichen wir den Zustand der Betroffenheit auch von Dingen, die sich weitab von uns ereignen.

Man darf es sich mit den Argumenten gegen die Schwalbenaktion nicht zu leicht machen. Wir müssen abwarten und schauen, welche Erfolge sich feststellen lassen. Für uns ist die Aktion ohnehin noch nicht beendet. Bestandserhebungen und verstärkte Forderung der Schwalben werden in diesem Frühjahr vordringliche Arbeiten sein. Um über den Ablauf und Erfolg der Aktion möglichst viel zu erfahren, bitten wir alle DBV-Gruppen, uns ihre Aufzeichnungen zur Verfügung zu stellen.

Wie aus Bayern verlautet, sollen auch über München zusätzlich eine halbe Million Schwalben ausgeflogen worden sein.

(aus: „Wir und die Vögel“, Heft 1/1975, S. 5-8)

Chefredakteurin at Helmstedter Sonntag | + posts

Katja Weber-Diedrich, geboren 1976 in Helmstedt, ist seit fast 30 Jahren Lokaljournalistin durch und durch. Der Legende nach tippte die ehrenamtlich Engagierte vor 25 Jahren den ersten HELMSTEDTER SONNTAG an einer Bierzeltgarnitur. Sowohl die Tiefen der deutschen Grammatik als auch die Wirren der Helmstedter Politik sind der Chefredakteurin nicht fremd; ihr Markenzeichen sind ehrliche Kommentare und Hartnäckigkeit.