Helmstedt/Warberg. Es gibt viel Scheu, viele Berührungsängste im Zusammenhang mit Tod und Sterben. Unterbewusst stellen sich Bilder mit Schmerz, langen Leidenszeiten, Apparatemedizin ein. Befürchtungen, Ängste steigen in uns auf. Um in konkreten Situationen Ansprechpartner zu haben, Beistand zu bieten, sind Hospizvereine gegründet worden. Diese Initiativen „von unten“ mit ihren ehrenamtlichen Helfern haben sich zu einer „echten Reformbewegung“ entwickelt.

Um auf diesem Weg für andere da zu sein, ist auch immer wieder gegenseitige Stärkung und Unterstützung erforderlich. Beim Ehrenamtstag für die Region Süd-Ost-Niedersachsen auf Burg Warberg ging es um den „assistierten Suizid“. Seit nunmehr zwei Jahren wird in der Gesellschaft intensiv und kontrovers diskutiert. Im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht das Recht zur Selbsttötung gestärkt – ebenso das Recht, dazu Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wie das konkret umgesetzt werden kann, dafür wird der Gesetzgeber noch Verfahrensregelungen definieren müssen.

Drei Experten referierten

Drei Referenten setzten sich mit dem Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Fremdbestimmung auseinander. „Wir haben nicht die Autonomie, die uns das Urteil glauben lässt“, so der Braunschweiger Palliativmediziner Dr. Rainer Prönneke. „In unserer Gesellschaft ist die Unabhängigkeit zunehmend zum obersten Lebensziel erhoben worden. Das gerät uns jedoch zum Schaden, wenn wir faktisch in Abhängigkeit geraten.“ Denn: jeder ist abhängig und braucht andere. Allein sei man nicht überlebensfähig. Überdeutlich gilt das für die frühen Lebensjahre ebenso wie zum Lebensende hin.

Jeder ist eingebunden in eine Gemeinschaft. Von eigenen Entscheidungen seien immer auch andere betroffen. Seelsorger Volkmar Schmuck wies darauf hin, dass das Leben einem nicht gehört und man es schließlich auch wieder abgeben müsse. Die relative Selbstgestaltung endet spätestens zum Lebensende hin, ,,es sei denn, wir suchen einen Notausausgang“, erklärte Schmuck

Von Rosemarie Fischer, Juristin beim Landesstützpunkt Hospizarbeit und Palliativversorgung, lernten die Hospizhelfer: „Selbsttötung an sich ist nicht strafbar. Deswegen kann eine Unterstützung auch nicht strafbar sein. Dagegen sind jedoch alle Handlungen strafbar, bei denen jemand einen anderen tötet.“ Die Abgrenzung zwischen assistiertem Suizid und aktiver Sterbehilfe ist also ein schmaler Grat. Seelsorger Schmuck brachte es auf den Punkt: „Wie soll man jemandem erklären, der nicht in juristischen Kategorien denkt, dass man einem Sterbewilligen einen Becher mit todbringendem Medikament hinstellen darf – andererseits wäre aber schon das Anreichen eine aktive Unterstützung.“ Die Referenten waren sich einig, dass diese Grenze irgendwann auch fallen könnte. Das Kriterium der „Tatherrschaft“ steht im Raum.

Ehrenamtliche haben das bei ihren Sterbebegleitungen häufig erfahren dürfen. Was wird auf sie und ihre Vereine nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zukommen? Die Frauen und Männer sind darin geübt, Bedürfnisse von schwerkranken und sterbenden Menschen wahrzunehmen. Um kompetente Gesprächspartner in existentiellen Situationen sein zu können, müssen sie ihre eigene Haltung zu Leben und Sterben geklärt haben. Das wird jetzt noch einmal verstärkt notwendig sein.

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Natalie Tönnies, geboren 1999 in Schönebeck (Elbe), ist das Küken in der Redaktion des HELMSTEDTER SONNTAG und steckt mitten in ihrem Volontariat. Die Danndorferin ist eine leidenschaftliche Sportschützin mit einer kleinen Abneigung gegenüber (Führerschein-)Prüfungen. Sie schreibt unheimlich gerne die Fleischerseite des HELMSTEDTER SONNTAG.