Vor rund 1.000 Jahren herrschte in Europa und damit auch in der Region um Helmstedt herum das Mittelalter. Bier galt als wichtiges Nahrungsmittel. Sicherlich nicht das Bier, das wir heute kennen und schätzen, aber ein Gebräu, das zumindest ähnlichen Prinzipien in seiner Herstellung folgte. Produziert wurde es selten, wie vielleicht anzunehmen ist, in richtigen „Brauereien“ – die gab es bestenfalls in den Klöstern – sondern bei jedermann zuhause. Oder besser gesagt: jeder Frau. Denn Bierbrauen, das hatte schon von den Zutaten sehr viel Ähnlichkeit mit dem Backen, war wie das Kochen eine Frauendomäne.

Wie sich das Bild hin in die Moderne gewandelt hat, weiß jeder. Das Bierbrauen verschwand aus privaten Küchen, ging über in Dorfbrauereien und mündete schließlich in wenigen Großbrauereien. Doch, seit der Jahrtausendwende weht der Wind wieder in eine andere Richtung. In unzähligen Privathaushalten wird mit dem Bierbrauen experimentiert. Mit Rezepten, die sich von denen der Großbrauereien abheben. Einen wahren Boom erlebte das Hopfen-Malz-Wasser-Getränk mit den Craft-Bieren der vergangenen zehn Jahre. Auch vor der Region um Helmstedt herum machte der Trend zum „Selbstgebrauten“ nicht halt.

Das Besondere daran: Während die Gastronomie durch den Lockdown „coronageplagt“ ist, die großen Brauereien vor dem Problem stehen, ihre Ware nicht absetzen zu können, wird im kleinen fast „normal“ weiter gearbeitet. Zumindest, was den Bierverkauf an Privatkunden angeht. Der im Bundestag beklagte Absatzrückgang um 15 Prozent, bei einzelnen Unternehmen sogar bis zu 50 Prozent, lässt sich im Kleinen nicht so widerspiegeln. Im Gegenteil: es wird sogar als Chance gesehen.

Beendorfs neue Brauer

Die jüngste Brauerei in der Region um Helmstedt liegt nur

Daniel Kramer (von links), Arne Egerer und Thomas Schönrock in ihrer Braustube.

wenige Meter jenseits der Landesgrenze von Niedersachsen zu Sachsen-Anhalt. Anfang Februar ging das Beendorfer Brauhaus erst so richtig an den Start.

Die drei Freunde, Arne Egerer, Daniel Kramer und Thomas Schönrock, die das Unternehmen führen, haben aber wahrlich keinen Schnellschuss hingelegt. „Vor etwa 15 Jahren waren wir zusammen in Wippra bei einem Braukurs“, erklärt Thomas Schönrock. Das habe das Interesse geweckt, es selbst einmal zu probieren. Es folgten mehrere Brauversuche mit eher durchwachsenen Ergebnissen. „Dann schlief das Vorhaben, bedingt durch Familiengründungen und berufliche Situation bei uns ein bisschen ein. Bier war natürlich aber auch weiter ein Thema für uns“, so Schönrock.

Neuer Wind in die Segel kam mit der fixen Idee, sich Jahre später gemeinsam eine für das Brauhobby gedachte 25-Liter-Anlage zu kaufen und es erneut zu versuchen, so die Erinnerung der drei Brauer, deren Lust auf ihr eigenes Bier nun erst richtig geweckt war. „Es hat geklappt, das war gut. Aber es war viel zu wenig“, so Schönrock. Es folgten ein 50 Liter Kessel, dann wurde noch einmal um 50 Liter und dann um 100 Liter vergrößert. „Wir haben uns langsam heran getastet und viel probiert“, berichtet Arne Egerer. „Irgendwann hatten wir ‚unser‘ Bier gefunden und zumindest unseren eigenen Bedarf gedeckt“, fügt Daniel Kramer hinzu. Das Ergebnis war das „Beendorfer Altdeutsche“.

Die Begeisterung bei Freunden und Bekannten, die einmal probieren durften, sei groß gewesen. So groß, dass die Überlegung in den Dreien reifte, vielleicht doch noch etwas mehr zu machen. Die Garage im Beendorfer Papenweg 61 war ohnehin schon für das Auto tabu geworden und vollends zur Brauzentrale für die Jungbrauer geworden, also suchten sie nach Angeboten, die ihrem Bedürfnis gerecht würden. Sie wurden fündig. Heute stehen vier 500 Liter Gärtanks in der ehemaligen Garage. Dort wo einst das Reifen-Gummi über den Beton kroch und Benzin in der Luft lag, duftet es heute nach Maische und der versiegelte Boden glänzt ebenso wie die Edelstahl-Brauküche selbst.

Während diese Zeilen entstehen, warten die Beendorfer Brauer darauf, das noch im Gärtank befindliche Bier abfüllen zu können. Am 19. März 2021 nämlich soll der erste Hofverkauf von 12 bis 19 Uhr im Beendorfer Papenweg stattfinden. „Seit zwei Wochen dürfen wir verkaufen“, ist Arne Egerer stolz. „Doch Bier braucht einfach einen vernünftigen Vorlauf und wir wollten nicht vorschnell reagieren und dann dumm darstehen“, ergänzen Daniel Kramer und Thomas Schönrock. Schließlich brauche ihr Bier vom Brautag bis zum Verkauf rund sechs Wochen. Und da die Tinte unter den letzten Genehmigungen die für ihr nebenberufliches Unterfangen notwendig war, gerade erst getrocknet war, blieb nur der Weg, das erste Etappenziel etwas weiter Richtung Frühling zu schieben.

Auf die Frage nach der Unternehmensgründung während Lockdown und Pandemie gibt es keine langen Gesichter. Für die drei Brauer ist es eine gute Idee. Privat nämlich würden die Menschen kaum weniger, vielleicht sogar eher mehr Bier kaufen als vor dem Lockdown. Vor allem, wenn es aus der Region kommt. Für sie sei es eine gute Chance durchzustarten. Erstmal zwar ohne Gastronomie-Partner, aber auch dort sei schon Interesse laut geworden. „Für Helmstedt haben wir ziemlich sicher einen Partner. Wenn die Bars wieder öffnen dürfen, darf man sich dort also auch auf ein frisches ‚Beendorfer Altdeutsches‘ aus dem Zapfhahn freuen“, versprechen Egerer, Schönrock und Kramer.

Zu haben ist das „Beendorfer Altdeutsche“ in einer individuell gefertigten 12 x 0,5 Liter-Kiste zum Preis von 15 Euro zuzüglich zehn Euro Pfand.

Alle Infos rund um das Brauhaus finden sich unter www.beendorfer.de.

Der regionale Bier-Vorreiter

Anders als bei den drei Jungbrauern aus Beendorf

Ernst-August Böhlke (rechts) und Sohn Mario stehen hinter ihrem Wackerbräu.

ist es vor 15 Jahren für Ernst-August Böhlke aus Wackersleben nicht bei ersten Brauversuchen geblieben. Er ist zwar auch ähnlich autodidaktisch gestartet, aber hat dann schnell den nächsten Schritt gemacht. Misserfolge, so erinnert sich der heutige Senior-Chef der Kleinbrauerei, habe es kaum gegeben. „Es hat von Anfang an gut funktioniert“, so Böhlke, der viel von dem Wissen, das dazu notwendig war, aus einem Buch hatte, das ihm praktisch in die Hände gefallen sei.

2006 sei er dann Arbeitslos geworden. „Es war eine schwierige Zeit damals, die Arbeitslosigkeit allgemein war hoch und mir stellte sich die Frage, was ich machen soll. Ich war 54 Jahre alt, also für den Arbeitsmarkt schon ein älteres Semester. Also habe ich mich durchgerungen, ein Gewerbe angemeldet und einfach angefangen“, beschreibt Ernst-August-Böhlke den Werdegang vom Hobby zur Berufung. Eröffnet wurde die „Privatbrauerei E.-A. Böhlke“ am 1. Oktober 2006.

In der Straße Im Kamp in Hötensleben, OT Wackersleben gab es aus den passionierten Händen des Brauers von Anfang an vier Sorten, die auch heute noch das Programm bestimmen. Das „Wackerbräu“ gibt es nämlich in den Sorten „Helles“, „Rubin“, „Schwazbier“ und „Weizen“. „Ich wollte ein Bier aus der Region für alle Altersgruppen anbieten“, sagt Böhlke, der abseits der Standard-Sorten in seinem Progoramm durchaus experimentierfreudig ist. Ganz besonders zeigt er das zu Anlässen wie dem Bockbierfest wo Jahr für Jahr vier Sorten Bockbier – in 2021 sind dies „Braunbär“, „Helles Bock“, „Roggenbock“ und „Weizenbock“ – das Programm ergänzen. Im Winter gibt es dann auch mal Spezialbiere die mit Aromen wie Zimt punkten.

Mit fünf bis sechshundert Litern habe er begonnen, aktuell liege sein Monatsvolumen bei 900 bis 1200 Litern, die er hauptsächlich an Privatpersonen verkaufe. Daher sei der Absatz auch während der Corona-Krise halbwegs stabil. Die Feste, für die die Menschen Bier bei ihm kauften, fehlten allerdings schon. Ebenso natürlich das Bockbierfest selbst, das schon im vergangenen Jahr dem ersten Lockdown zum Opfer gefallen war und das auch in 2021 nicht stattfinden kann. „Das Bier dafür wird aber trotzdem gebraut“, hakt Marco Böhlke ein. Der Junior mischt die Maische nicht nur kräftig mit, sondern hat seit sechs Jahren die Federführung im Betrieb des Vaters übernommen. „Wir werden die Bocksorten parallel bei unserem Hofverkauf anbieten.“ Dieser findet jeweils Freitags und Sonnabends statt. Das sei auch wichtig, denn auch wenn Corona das „Wackerbräu“ nicht so stark getroffen habe, so sei zumindest in den vergangenen Wochen ein leichter Umsatzrückgang zu spüren.

15 Euro kostet zum Beispiel eine Kiste „Wackerbräu Rubin“ zuzüglich sieben Euro Pfand. Erhältlich sind diese nur freitags ab 14 Uhr und  sonnabends von 9 bis 11 Uhr in der Straße „Im Kamp 5“ im Hötensleber Ortsteil Wackersleben.

Braukurse und mehr in der Domstadt

Frank Wulke in seiner Brauküche.

Wer an diesem Punkt jetzt Lust auf ein kühles regionales Bier oder sogar Interesse daran bekommen hat, selbst einmal den Kochlöffel im Braukessel zu schwingen, hat in der Region Helmstedt noch eine weitere Option: das Brauwerk 2010 in Königslutter. Vor allem für den letzteren Punkt ist Diplom Biersommelier Frank Wulke eine Institution. Für ihn habe es, wie auch bei den Beendorfern mit einem Besuch eines Braukurses angefangen. „Das war 2010 bei Schnucke Bräu in der Nähe von Walsrode“, erinnert sich Wulke. Allerdings habe er dabei ehrlicherweise mehr getrunken, als richtig viel Brauwissen mit nach Hause genommen.

„Das ist bei mir ein bisschen anders, als bei vielen Braukursen. Natürlich gibt es bei mir auch gutes Bier zur Verpflegung, das gehört logischerweise dazu, aber mein Schwerpunkt ist Wissensvermittlung. Ich habe den Anspruch an mich selbst, dass die Leute nach meinen Kursen selbst ein gutes Bier brauen können“, so Frank Wulke. Nachdem sein Interesse geweckt war, sei es in großen Schritten voran gegangen. „Ich bin Dom- und Stadtführer und dachte, das passt wunderbar in die Stadt Königslutter mit ihrer langen Brautradition.“

Sein Anfang sei eine Kleinanlage gewesen, zu der über die Jahre immer mehr dazu gekommen sei. In großem Maßstab produziere er auch heute noch nicht, sondern konzentriere sich auf Spezialitäten. Und an genau die würden sich die Menschen erinnern und viele derjenigen, die seine Kurse besucht hätten, das Brauen zuhause auch tatsächlich beginnen. „Rund 30 Prozent fangen wirklich damit an.“

Um sein Wissen zu vertiefen widmete er sich dem tieferen Studium des Bieres und legte 2011 sein Diplom zum Biersommelier ab. Und das Wissen möchte Wulke auch vermitteln. Brauseminare sind ein Teil, Bierverkostungen ein anderer, gepaart mit „bierigen Vorträgen“ und Biererlebnisführungen durch die Domstadt vervollständigt sich das Gesamtpaket.

Beim Punkt Brauen legt Frank Wulke Wert auf hohe Qualität. „Mein klarer Favorit sind IPA (Indian Pale Ale) Biere. Das heißt natürlich nicht, das ich nichts anderes braue, aber ich mag den Geschmack und die Qualität einfach sehr“, gibt der passionierte Bierliebhaber preis. In seinen Kursen setzt er zudem auf Bioqualität der Rohstoffe, die zum Einsatz kommen. Das sind in der Regel zwar auch Hopfen, Malz und Wasser (und natürlich Hefe), aber, wenn es etwas Besonderes sein soll, dann auch mal etwas andere Zutaten. Craft-Beer ist für Wulke kein Fremdwort – im Gegenteil. Genau deshalb bietet er seine Biervariationen auch zum Verkauf an. Allerdings auf Vorbestellung. Abgefüllt in Flaschen werde nämlich nach Bedarf.

Beim Bierabsatz habe es coronabedingt, das liege auch an den ohnehin geringen Ausstoßmengen, keinen so großen Einbruch gegeben. Wohl aber bei den Kursen die Frank Wulke anbietet. „Gutscheine werden zwar viele gekauft – und dafür bin ich dankbar – aber die Kurse im vergangenen Jahr sind praktisch alle ausgefallen. Ich hoffe sehr darauf, dass wir dieses Jahr wieder richtig loslegen können.“

Alle Infos und Kontaktdaten zum „Brauwerk2010“ gibt es unter www.brauwerk2010.de

 

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Nico Jäkel, geboren 1981 in Helmstedt, ist ausgebildeter Redakteur, selbstständiger Fotograf und ein leidenschaftlicher Hobbykoch mit einer gigantischen Sammlung an Kochbüchern. Seine Markenzeichen sind verschachtelte Sätze. Zusätzlich zu seinem Faible für Produkttestungen, engagiert sich der Lokalpatriot in seiner Heimatstadt Schöningen.