von Natalie Reckardt

Teil I: Das Monatsthema Februar handelt von verbotener Lektüre und der Frage, ob Kinder heute wirklich schlechter lesen

erschienen am 5. Februar 2023

„Ein Haus ohne Bücher ist arm, auch wenn schöne Teppiche seine Böden und kostbare Tapeten und Bilder die Wände -bedecken.“ Das ist ein Zitat Hermann Hesses, einem deutsch-schweizerischem Schriftsteller, der unter anderem für seine Werke „Der Steppenwolf“, „Demian“ oder „Narziß und Goldmund“ bekannt ist.  Zur Zeit des Ersten Weltkrieges meldete sich der Schriftsteller zum Militärdienst. Aufgrund seiner Kurzsichtigkeit wurde er jedoch ausgemustert und seine Aufgabe war es, sich um die Kriegsgefangenenfürsorge zu kümmern. Parallel leitete er die Bücherei für deutsche Kriegsgefangene. Von diesen Erfahrungen geprägt handeln seine Texte von der Ablehnung von Krieg und Patriotismus. Auch im Zweiten Weltkrieg änderte sich dies nicht. Hesses Werke gegen das NS-Regime dienten Schriftstellern als Vorbild, die zu dieser Zeit aus Deutschland flohen. Klar ist, dass seine NS-kritischen Werke erst nach dem Zweiten Weltkrieg richtig publik wurden. Umso erfreulicher ist es, dass sie vor allem der jüngeren heranwachsenden Generation als Beispiel dienten, um sich geistig und moralisch neu zu orientieren und die nationalsozialistische Zeit und ihre Werte hinter sich zu lassen. Die Frage ist nun: Macht Literatur das auch heute noch? Im Monatsthema Februar soll die Frage „Ist Deutschland eigentlich noch Schmökerland?“ beleuchtet werden. Dabei soll nicht nur „verbotene Literatur“, wie es sie in der Zeit der Nationalsozialisten oder sogar in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gab, behandelt werden, sondern auch das Leseverhalten der jüngsten heutigen Generation. Warum zum Beispiel wird Kindern in ihrem Zuhause so selten vorgelesen? Und was unternehmen Schulen dagegen?

Seit wann gibt es das Lesen?

Doch zunächst soll sich dem Lesen an sich gewidmet werden. Seit wann betreiben es die Menschen? Redakteur Ulf von Rauchhaupt schrieb einst, dass ja auch das Fährtenlesen, wenn Jäger Spuren im Schnee von Tieren fanden, irgendwie dazu gehöre. Genauso verhalte es sich mit alten Schriftstücken aus dem frühen Ägypten. Zwar sind auf gefundenen Briefen oder Schriftrollen keine „Geschichten“ geschrieben, aber dafür Aufzählungen von Waren oder Vieh. Diese stammten aus der Zeit um 3.200 vor Christus. Bei solchen Schriftzeichen -wüssten Forscher heute mit Sicherheit, was die Menschen damals sagen wollten. „Sie wissen es, weil sie die Zeichen als Wörter der sumerischen beziehungsweise altägyptischen Sprache deuten können. Denn das ist Lesen eigentlich: Lesen von Geschriebenem – und Schreiben ist eine Technik zur Aufzeichnung gesprochener Sprache. Ohne Sprache keine Schrift und kein Lesen. Daher kann man umgekehrt von Schriftzeichen, die man nicht lesen kann, weil sie eine unbekannte Sprache wiedergeben, eigentlich gar nicht mit Sicherheit sagen, dass es tatsächlich Schriftzeichen sind“, erläutert Rauchhaupt dazu. 

Nicht nur mit den Augen lesen

Lesen ist jedoch viel mehr als das bloße „Sehen“ von Geschriebenem. Denn auch blinde Menschen können lesen, wenn auch nicht mit ihren Augen. Genauer gesagt lesen Blinde mit den Zeigefingern. 1825 entwickelte der Franzose Louis Braille, der selbst sehbehindert war, ein Alphabet aus Punkten. Dabei setzte sich ein Buchstabe aus maximal sechs Punkten zusammen, welche in drei Zeilen zu je zwei Punkten angeordnet wurden. Damals ließen sich 64 Buchstaben und Zeichen bilden. Heute jedoch wird die Brailleschrift auch für das Internet verwendet und um weitere Zeichen, wie zum Beispiel das „@“ zu bilden, werden acht anstatt sechs Punkte benötigt. 


Teil II: Als das Lesen für Menschen gefährlich wurde

erschienen am 12. Februar 2023

Deutschland im Jahr 1933: Nationalsozialisten sammeln Bücher aus privaten und Universitätsbibliotheken zusammen und verbrennen sie auf öffentlichen Plätzen. Werke von Erich Kästner oder Heinrich Mann sind mit dabei, aber auch von vielen jüdischen Schriftstellern. Von Mai bis Juni dauern diese Bücherverbrennungen an, die von „Feuersprüchen“ begleitet werden. Joseph Goebbels erklärte das „Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus“ für beendet, und gab den Weg für die Vernichtung hunderter „undeutscher“ Werke frei. Heute erinnern viele Gedenkveranstaltungen jährlich an die Bücherverbrennung, doch es dauerte eine Zeit. In der Zeitschrift „Stern“ veröffentlichte 1977 der Journalist Jürgen Serke eine Serie zu den Bücherverbrennungen. Dieses Thema bekam so erstmals großes Interesse der Öffentlichkeit. Der Verband Deutscher Schriftsteller und das Deutsche PEN-Zentrum riefen ein Jahr nach dieser Veröffentlichung den 10. Mai zum „Tag des Buches“ auf. In Göttingen steht mittlerweile eine Gedenktafel, die an die Bücherverbrennung erinnern soll. In Hamburg wurde 1985 ein Mahnmal errichtet. Weitere folgten in den 90er Jahren sowohl in Berlin als auch in Köln. Die Bücherverbrennung soll nur ein Beispiel für „verbotene“ Literatur sein, mit der sich das Monatsthema „Ist Deutschland eigentlich noch Schmökerland?“ in dieser Woche beschäftigt.

Leseland DDR

In der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn können Besucher derzeit die öffentliche Ausstellung „Leseland DDR“ besuchen. 20 Tafeln laden zu einer Zeitreise durch das Leseland ein, wo Lesen mit hohem Aufwand gefördert, unerwünschte Literatur in Bibliotheken allerdings nur mit einem „Giftschein“ zugänglich war und Besucher aus dem Westen bei der Grenzkontrolle nach Büchern gefilzt wurden. In der Ausstellung geht es aber auch um Menschen, die für seltene Bücher teilweise Schlange standen und sich vom DDR-Regime nicht vorschreiben lassen wollten, welche Lektüre sie zu lesen haben. Die Ausstellung erzählt von der Ablehnung osteuropäischer sowie sowjetischer Literatur und wie sowohl der Besitz als auch ihre Weitergabe in den 1970er Jahren zu Haftstrafen führen konnten. Nicht selten kam es sogar zum Ausschluss von Oberschulen oder Universitäten. Solche Maßnahmen und auch umfangreiche Grenzkontrollen konnten mutige DDR-Bürger jedoch nicht davon abhalten, die „verbotene“ Lektüre trotzdem ins Land zu holen. Wer die Ausstellung einmal hautnah erleben möchte, kann das noch bis Freitag, 24. Februar, in der Gedenkstätte tun. Neben Infotafeln informieren kleine Videos und Audios zum „Leseland DDR“.

Verbot von „Esra“

Was ein strenges Verbot von einzelner Lektüre hervorrufen kann, sieht man gut am Beispiel des Romans „Esra“ von Maxim Biller. Dieser beschäftigt sich mit einer komplizierten Liebesgeschichte zwischen dem jüdischstämmigen Adam und der türkischstämmigen Esra. Die Verbreitung des Romans wurde 2003 untersagt, da das Landgericht München die Persönlichkeitsrechte der deutschen Schauspielerin Ayse Romey, der der Hauptfigur Esra sehr ähnelte, verletzt sah. Bis heute darf der Roman weder veröffentlicht noch verkauft werden. Im Jahr 2008 schrieb der „Spiegel“: „Die ‚Esra‘-Entscheidung markiert eine Zeitwende: Bis zur Entscheidung gingen Verlage und Autoren davon aus, die Kunst sei gemeinhin frei. Seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist die Verunsicherung unter Autoren und Verlagen groß. Deshalb wächst die Nachfrage nach Rechtsberatung deutlich. Aber auf das künstlerische Schaffen wirkt diese Rechtsunsicherheit wie ein Narkotium – bis hin zur Selbstzensur. Schließlich drohen hohe -Kosten für Gerichtsverfahren.“ Heute, nach 20 Jahren, wird das Thema wieder diskutiert. Die Süddeutsche Zeitung schreibt, dass sich literarische Produktionen in Deutschland verändert hätten. Bei einem Gespräch mit dem damaligen Lektor von „Esra“ stellte sich heraus, dass noch immer Angst und Verunsicherung in den Köpfen von Lektoren und Autoren herrschten. Aus Sicht der Süddeutschen Zeitung sei es außerdem an der Zeit, das Verbot aufzuheben, sodass sich Leser selbst ein Urteil von dem Roman machen können. 

Vom Lehrplan gestrichen

Auch heute noch sind Literaturverbote keine Seltenheit. Die Internationale Schriftstellervereinigung PEN America kam nach einer Untersuchung zu der Erkenntnis, dass in den USA vor allem Bücher in Schulbibliotheken verboten werden, die sich mit den Themen LGBTQ+, Rassismus oder sexuelle Aufklärung beschäftigen. Auch Romane mit „People of color“ werden verboten. Von Juli 2021 bis Juni 2022 -registrierte PEN 2.532 Fälle. Die Webseite www.autorenwelt.de beschäftigte sich ebenfalls mit der Studie und schreibt: „Der PEN America schätzt, dass mindestens 40 Prozent der im Index aufgeführten Verbote entweder mit vorgeschlagenen oder erlassenen Gesetzen oder mit politischem Druck von Staatsbeamten oder gewählten Gesetzgebern zusammenhängen, um den Unterricht oder die Präsenz bestimmter Bücher oder Konzepte einzuschränken. Die Forschenden konnten mindestens 50 Gruppen ausfindig machen, die sich auf nationaler, bundesstaatlicher oder lokaler Ebene für ein Verbot von Büchern im ganzen Land einsetzen. Diese Gruppen teilen Listen von Büchern, die sie verbieten lassen wollen, und sie wenden spezielle Taktiken an: Schulausschusssitzungen werden aufgesucht, Bücher als ‚obszön‘ oder ‚pornografisch‘ diffamiert und Strafanzeigen gegen Schulbeamte, Lehrerinnen und Bibliothekare gestellt. Die meis-ten dieser Gruppen scheinen sich, so PEN America, im Jahr 2021 gebildet zu haben. Etliche verträten christlich-nationalistische politische Ansichten.  Eine parallele, aber damit verbundene Bewegung zielt, so der Bericht, auch auf öffentliche Bibliotheken ab mit Aufrufen zum Verbot von Büchern, Versuchen, Bibliothekare einzuschüchtern, zu belästigen oder zu entlassen, und sogar Versuchen, ganze Bibliotheken zu schließen.“ Der Schaden, der daraus resultiert, sei weitreichend. Sowohl die Pädagogik als auch die geistige Freiheit werden beeinträchtigt. PEN America ist der Überzeugung, dass Kinder es verdienten, sich selbst in Büchern zu sehen und einen Zugang zu einer Vielfalt von Geschichten zu haben, die ihnen helfen, die Welt um sich herum zu verstehen. Die Verbote in den USA trügen dazu bei, in Bibliotheken ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Schüler nicht wohl oder sogar ausgeschlossen fühlten. Abschließend sagt PEN America: „Das Verbot von Büchern beeinträchtigt das Recht auf freie Meinungsäußerung, das in einer offenen, integrativen und demokratischen Gesellschaft das Fundament der öffentlichen Schulen sein muss. Diese Verbote stellen einen gefährlichen Präzedenzfall für die Menschen innerhalb und außerhalb der Schulen dar und überschneiden sich mit anderen Bewegungen, die darauf abzielen, die Fortschritte bei den Bürgerrechten für historisch marginalisierte Menschen zu blockieren oder zu beschneiden.“

Lesen Kinder immer schlechter?

Deutschland scheint von solchen extremen Buchverboten zwar nicht so betroffen zu sein wie die USA, allerdings macht sich allmählich ein anderes Problem bemerkbar. Denn viele Studien kommen derzeit zu dem Entschluss, dass Grundschulkinder immer schlechter lesen (und schreiben). 


Teil III: Defizite bei Grundschülern sind alarmierend

erschienen am 19. Februar 2023

6,2 Millionen Menschen der erwerbsfähigen Bevölkerung können in Deutschland nicht oder nur schlecht lesen und schreiben. Bei weiteren 10,6 Millionen  Erwachsenen tritt fehlerhaftes Schreiben selbst bei gebräuchlichen Wörtern auf. Dies geht aus einem Bericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung hervor. Darin fiel auf, dass Männer mit knapp 58 Prozent die Mehrheit der gering literalisierten Erwachsenen aufstellten. Auch die Höhe des Schulabschlusses weise einen Zusammenhang mit der Lese- und Schreibkompetenz auf. Mehr als 60 Prozent der Menschen mit diesen Schwierigkeiten hätten entweder gar keinen oder einen sehr niedrigen Abschluss. „Wer das Lesen und Schreiben in den ersten Schuljahren nicht gelernt hat, kann es im weiteren Schulverlauf kaum nachholen“, sagt das Bundesministerium. Im Monatsthema „Ist Deutschland eigentlich noch Schmökerland?“ soll es in dieser Ausgabe vor allem um das Leseverhältnis der Grundschüler in Deutschland gehen. Denn wie viele Studien in den vergangenen Monaten zeigten, ist die Situation „alarmierend“.

Ein Corona-Effekt?

Als zur Hochzeit der Corona-Pandemie Homeschooling auf der Tagesordnung der Schüler stand, ahnte ja noch niemand die Auswirkungen, die dieses mit sich brachte. Kinder und Jugendliche mussten sich in ihrem Zuhause, welches normalerweise ein Rückzugsort sein soll, auf die Schule konzentrieren. Klare Abgrenzung zwischen Schule und Privatem war nur schwer möglich. Laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) blieben die Schulen für mehr als 180 Tage geschlossen, was fast einem ganzen Schuljahr entspricht. 

„Alarmierende Defizite“

Am Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) der Technischen Universität Dortmund hat ein Forschungsteam unter der Leitung von Professor Dr. Nele McElvany im vergangenen Jahr wissenschaftlich repräsentative Daten zum Stand des Lernfortschritts von Viertklässlern während der Corona-Pandemie veröffentlicht. Dabei kam heraus, dass sich die Kompetenz von Schülern der vierten Klassen im Jahr 2021 im Vergleich zu der Kompetenz Gleichaltriger vor der Pandemie drastisch unterscheidet. „Die Lernrückstände beim Lesen von einem halben Schuljahr sind so massiv, dass man sie nicht mit Einzelmaßnahmen wie Nachhilfe-Unterricht auffangen könnte“, betonte damals die Bildungsforscherin McElvany. Ein großes Problem sahen die Forscher vor allem darin, dass sich diese Defizite durch die gesamte Schulzeit ziehen.  Der Rückgang des Niveaus traf im Übrigen alle untersuchten Schülergruppen. Zwar steht fest, dass Kinder aus Familien mit vielen Büchern zuhause im Schnitt besser lesen als solche mit wenigen oder gar keinen Büchern. Die Lernkompetenz ist bei beiden Gruppen wegen der pandemischen Einschränkungen aber gering. Auch die Homeschooling-Situation spielte dabei eine Rolle. Kinder, die keinen eigenen Rückzugsort und schlechte Rahmenbedingungen zum Lernen hatten, schnitten schlechter ab. In seinem Bericht schreibt das Institut, dass umfassende und wirksame Unterstützungs- und Fördermaßnahmen nötig seien, um diese Lücke wieder schließen zu können. Die Kinder, die untersucht worden sind, besuchen nun die fünfte Klasse. Es ist also auch eine Aufgabe der weiterführenden Schulen, diese Defizite zu minimieren. 

Lesenlernen beginnt im Elternhaus

Zuständig für gute Bildung sind jedoch nicht nur die Schulen selbst, sondern auch das eigene Umfeld. Für eine gute Lernkompetenz ist es umso wichtiger, Kinder früh und auf spielerische Art und Weise an Buchstaben oder Zahlen heranzuführen. Erste Berührungspunkte entstehen schon beim abendlichen Vorlesen von Gute-Nacht-Geschichten. Jedoch kommt das immer seltener vor. Das ergab eine Studie der Stiftung Lesen in Kooperation mit der Deutsche-Bahn-Stiftung und der Wochenzeitung „Die Zeit“. Die drei Institutionen untersuchen seit 2007 jährlich das bundesweite Leseverhalten sowie die Bedeutung des Vorlesens für die kindliche Entwicklung. Im vergangenen Jahr kam erstmals der „Vorlesemonitor“ zum Einsatz. Rund 840 Elternteile von ein- bis achtjährigen Kindern wurden zu ihrem Vorleseverhalten befragt. Und das Ergebnis fiel ernüchternd aus. Rund 40 Prozent aller Kinder wird selten bis nie etwas vorgelesen. 2019 lag der Anteil nur bei 32 Prozent. Auffällig war, dass Mütter öfter vorlesen als Väter. Und auch die Familiensituation spielte wieder eine Rolle. In Familien mit geringem Bildungsniveau wird seltener vorgelesen. Der Anteil der Mädchen und Jungen, denen ein- oder mehrmals pro Tag vorgelesen wird, blieb dagegen stabil. Geschichten gibt es am häufigs-ten für die Zwei- bis Vierjährigen. Sobald die Kinder in die Schule kommen, schwindet auch die Vorlesemotivation bei den Eltern. Bei der Vorstellung der Studie im vergangenen Jahr sagte Bildungsstaatssekretär Jens Brandenburg, dass die Fähigkeit fließend lesen zu können über den gesamten Bildungs- und Arbeitsweg entscheide. Dabei gehe es nicht nur um das flüssige Lesen, sondern auch um das richtige Textverständnis. „Das Lesenlernen beginnt nicht in der Schule, sondern im Elternhaus“, mahnte Brandenburg. 


Teil IV: Lesen hilft, den Stresspegel runterzubringen

erschienen am 26. Februar 2023

„Ist Deutschland eigentlich noch Schmökerland?“ ist die Ausgangsfrage des Monatsthemas Februar im HELMSTEDTER SONNTAG. In den vergangenen Wochen wurde sich unter anderem auf das Einschränken des Leseverhaltens durch Verbote von Literatur und die Leseentwicklung in den heutigen Grundschulen fokussiert. In diesem Teil des Monatsthemas soll die Ausgangsfrage beantwortet werden. Wie lesen die Deutschen heute? Und vor allem was? Doch zunächst: Was gibt Lesen den Menschen eigentlich? Das Verbrauchermagazin BBX stellte bereits 2017 fest, dass Lesen erfolgreich macht. Lesen verbessere demnach das Sprachgefühl sowie die eigene Sprachkompetenz. 2013 zeigte eine Studie von Wissenschaftlern aus New York sogar, dass Lesen die Empathie fördert. Bei Menschen, die anspruchsvolle Literatur lesen, sei diese am ausgeprägtesten.  „Eine Langzeitstudie der Yale Universität mit 3.600 Probanden ergab außerdem, dass Leser länger leben. Wer sehr viel liest, kann demnach sogar ganze zwei Jahre rausholen. Als wäre das nicht genug, sind Menschen, die lesen, auch noch erfolgreicher als Menschen, die nicht lesen, während erfolglose Menschen statistisch mehr Zeit vor dem Fernseher verbringen. Umfragen unter Führungskräften internationaler Unternehmen ergaben, dass die klugen Köpfe und Konzernlenker auch eifrige Leser sind, sowohl von -Belletristik als auch von Sachbüchern. Eine Untersuchung der Universität Padua konkretisierte das und wies nach: Wer viel liest, verdient durchschnittlich 21 Prozent mehr als Menschen, die nicht oder nur sehr wenig lesen“, schreibt das Verbrauchermagazin auf seiner Webseite. Doch nicht nur Erfolg ist ein positiver Nebeneffekt des Lesens. Die Krankenkasse AOK schrieb einst, dass einer Studie der University of Sussex zufolge Lesen den Stresspegel um bis zu 60 Prozent senken könne. Durch verschiedene Tests wurde der Stresspegel der Teilnehmer nach oben getrieben, wobei die Herzfrequenz gemessen wurde. Danach sollten sie sechs Minuten still sitzen bleiben und lesen. Zwar sei die Entspannung zum großen Teil dem Stillsitzen zuzuschreiben, doch genau dazu werden man beim Lesen ja „gezwungen“. „An der Emory University in Atlanta haben Forschende zeigen können, dass das Lesen im Gehirn sogar auf biologischer Ebene Spuren hinterlässt. Sie machten Gehirnscans der Probanden und baten sie, jeden Abend in einem ausgewählten Buch zu lesen. Am nächsten Morgen wiederholten sie die Scans und fanden Veränderungen: In einem Gehirnbereich, der für die Aufnahme von Sprache zuständig ist, war die so genannte Konnektivität erhöht. Das heißt, der Informationsfluss der Neuronen funktionierte besser. Das Gleiche galt für die Zentralfurche des Gehirns. Diese Struktur wird mit Körperempfindungen in Verbindung gebracht. Das Interessante daran: Diese Veränderungen im Gehirn waren noch fünf Tage nach dem Lesen vorhanden. Wie lange sich Leseerlebnisse oder Lieblingsbücher auf die Biologie des Gehirns auswirken, muss noch im Detail erforscht werden“, schreibt die AOK abschließend in ihrem Bericht. Ob die Deutschen deswegen so gerne lesen, ist fraglich. Fakt ist aber: Sie lesen noch, sowohl auf Papier als auch mittlerweile digital.  Anlässlich des Welttages des Buches im vergangenen Jahr hat die Webseite YouGov zusammen mit Statista eine Umfrage hinsichtlich des Leseverhaltens erstellt. 

Papier ist noch immer ganz oben

52 Prozent der Teilnehmer gaben an, Bücher am häufigsten noch in gedruckter Form zu lesen. 14 Prozent nutzen bereits ein E-Book, elf Prozent nutzen beide Varianten gleich oft. Jeder Fünfte gab sogar an, gar keine Bücher zu lesen. Genretechnisch sind Kriminalromane in Deutschland ganz vorne. Hirstorische Romane sowie Science-Fiction und Fantasy sind ebenso beliebt. Für knapp mehr als ein Drittel der Deutschen gehören Sachbücher zu den Lieblingsbüchern. Bei der Statistik fällt auf, dass vor allem Frauen eher zu Krimis greifen, Männer hingegen eher zu Sachbüchern. Und immerhin: 46 Prozent der Befragten gaben an, dass sie Leseratten seien. Während der Corona-Krise haben die Menschen wohl auch öfter zum Buch gegriffen. Über die Hälfte war sich klar, dass sie als Kind öfter lasen und es heute viel zu wenig tun. Auch darüber, dass Kinder in der Schule mehr zum Lesen animiert werden sollten, war sich die Mehrheit einig. Auf Nachhaltigkeit achtet laut Statistik nur jeder Dritte. 28 Prozent leihen Bücher lieber aus, beispielsweise in Bibliotheken oder öffentlichen Bücherschränken. Fakt ist also, dass Deutsche noch immer gerne lesen. Sei es, um in eine andere Welt einzutauchen und dem Alltag zu entfliehen, oder zur reinen Unterhaltung, entscheidet jeder dabei für sich.

 

+ posts

Natalie Tönnies, geboren 1999 in Schönebeck (Elbe), ist das Küken in der Redaktion des HELMSTEDTER SONNTAG und steckt mitten in ihrem Volontariat. Die Danndorferin ist eine leidenschaftliche Sportschützin mit einer kleinen Abneigung gegenüber (Führerschein-)Prüfungen. Sie schreibt unheimlich gerne die Fleischerseite des HELMSTEDTER SONNTAG.