Erster Teil (erschienen am 4. Juni 2023): Sensationelles wurde zutage gefördert als im Tagebau nach menschlichen Hinterlassenschaften statt nach Braunkohle gegraben wurde
Vor 300.000 Jahren sind die Menschen aufrecht gegangen und sie haben mit selbst gefertigten Speeren gejagt, im Verbund und koordiniert. Womöglich erlegten sie Wildpferde und Bären, um sich zu ernähren, aber ebenso um sich im Fell der Tiere zu kleiden. Ihre natürlichen Feinde waren vermutlich Waldelefanten und Nashörner sowie Säbelzahnkatzen.
Es ist wirklich sensationell, was in den vergangenen 30 Jahren im Schöninger Tagebau entdeckt wurde. Denn alles Genannte wüsste die Menschheit nicht, wenn sich die Archäoloigie nicht gegen den Bergbau durchgesetzt und wissenschaftlich gegraben hätte.
Im Landkreis Helmstedt wurde die frühe Menschheitsgeschichte (um)geschrieben.
Dieser Aspekt an sich ist schon spannend, aber nimmt man das zehnjährige Jubiläum des paläon – des Forschungsmuseums Schöningen – hinzu, ist das Juni-Thema des HELMSTEDTER SONNTAG geboren: „Von Speer bis Pyramide: Faszination Archäologie“.
Archäologie bedeutet, Materielles zu untersuchen
Die Archäologie ist ganz einfach ausgedrückt eine Wissenschaft, die sich mit allem befasst, was alt ist. Es geht um materielle Hinterlassenschaften von Menschen, vom zweieinhalb Millionen Jahre alten Steinwerkzeug bis hin zu Gebäuden aus deutlich jüngeren Zeiten.
Es muss also nicht zwangsläufig gegraben werden, um als Archäologin oder Archäologe tätig zu sein. Oftmals besteht aber die Aufgabe darin, an bisher unentdeckte Orte zu gelangen, um Neues zu erforschen.
Wie beispielsweise ins Innere der Cheops-Pyramide. Obwohl die Pyramiden von Gizeh als einzig noch existierendes Weltwunder der Antike seit über 4.500 Jahren erforscht werden, fanden Archäologen Anfang März eine neue Kammer in der größten unter ihnen.
Mit Pyramiden-Scan einen neuen Raum entdeckt
Ein internationales Forschungsteam bestätigte die Exis-tenz eines etwa neun Meter langen Hohlraums in der Cheops-Pyramide, der jahrtausendelang verborgen war.
2015 war damit begonnen worden, die Pyramiden von Gizeh zu durchleuchten. Im Mittelpunkt des Projektes ScanPyramids steht die Ruhestätte des Pharaos Cheops, die so genannte Große Pyramide. Nicht-invasiv soll diese Durchleuchtung stattfinden. Das bedeutet, dass die Forschenden Ultraschall nutzen sowie Myonentomografie. Die funktioniert mit der Sichtbarmachung winziger Elementarteilchen aus dem All, den Myonen. Sie kann ähnlich des Röntgen verwendet werden.
Weil die Pyramiden von Gizeh zum Weltkulturerbe gehören, darf nur äußerst behutsam vorgegangen werden, um etwa das Innere der Großen Pyramide zu kartieren. Das ist bisher tatsächlich nur zu einem kleinen Teil möglich gewesen.
Die Entdeckung des internationalen Forscherteams, zu dem Wissenschaftler der Technischen Universität München gehören, macht aber vor allem eins deutlich: Um neue Geheimnisse aus dem Inneren von Pyramiden (und aus anderen Bauwerken) zu lüften, muss weder gegraben noch eingedrungen werden. Das Weltkulturerbe bleibt also weiterhin erhalten, obwohl dauerhaft an ihm geforscht werden kann.
Zweiter Teil (erschienen am 11. Juni 2023): Sensationelle Funde erzählen die Menschheitsgeschichte neu
Es war ein deutscher Kaufmann, der dafür sorgte, dass die Archäologie in den wissenschaftlichen Stand erhoben wurde. Dabei ging Heinrich Schliemann bei seinen jahrzehntelangen Ausgrabungen auf der Suche nach Troja nicht zimperlich vor und beschädigte sogar andere Artefakte. Aber das, was er letztlich tatsächlich entdeckte, gilt als einer der wichtigsten Funde der Welt: der Schatz des Priamos.
Um diesen und weitere spektakuläre Funde der Archäologen auf der ganzen Welt geht es in dieser Woche beim Monatsthema „Von Speer bis Pyramide: Faszination Archäologie“.
Homer hatte den genauen Standort Trojas verschwiegen
1873 war Schliemann nach Jahren endlich erfolgreich und stieß bei Ausgrabungen auf Überreste einer Stadt. An der Westküste der Türkei, in Anatolien, suchte Schliemann auf dem Hügel Hisarlik zwei Jahre lang nach Troja. Er hatte Hinweise bekommen, dass dort der Standort des legendären Ortes sein könnte. Denn Homer hatte in seinem Eops „Ilias“ zwar sehr ausführlich beschrieben, wie die Griechen die stolze Stadt mit der List eines hölzernen Pferdes zu Fall brachten, aber nicht genau erwähnt, wo der Ort lag.
Schliemann fand tatsächlich einen Schatz aus letztlich 8.000 Gefäßen, Goldkelchen, Speerspitzen und unzählige andere Alltagsgegenständen. Er war sich sicher, dass es sich um die Hinterlassenschaften des trojanischen Königs Priamos handeln müsse, lag aber falsch. Denn recht bald stellte sich heraus, dass die gefundenen Gegenstände über 4.000 Jahre alt waren.
Priamos aber soll 1250 vor Chris-tus gelebt haben und damit deutlich jünger sein. Schliemann blieb am Ende die womöglich beruhigende Information, dass Troja sich tatsächlich auf dem Hügel Hisarlik befunden haben soll. Er hatte lediglich daran „vorbei“ und „zu tief“ gegraben…
Der Schatz des Priamos hat seinen Namen dennoch behalten und gilt als ein wichtiges Zeugnis der Menschheitsgeschichte. In Deutschland sorgte der Fund für so viel Aufsehen, dass aus der bis dahin laienhaft betriebenen Archäologie eine echte Wissenschaft wurde.
Und wo die am Werk ist, werden regelmäßig spektakuläre Hinterlassenschaften entdeckt. Wie etwa das Grab des ägyptischen Pharaos Tutanchamun im Tal der Könige, auf dessen Suche der britische Archäologe Howard Carter nach fünf Jahren beinahe aufgegeben hätte. Kurz vor der geplanten Abreise wurde er 1922 aber noch fündig – und anschließend weltberühmt.
Unbekannt sind hingegen die Finder der Terrakotta-Armee in China, waren es doch Bauern, die 1974 zufällig auf die lebensgroßen Figuren stießen, als sie nahe der Stadt Xi‘ einen Brunnen bauen wollten. Dabei zählen die Figuren, von denen Hunderte, aber längst nicht alle freigelegt wurden, zu den bedeutendsten Ausgrabungen der Welt.
Grabräuber fanden die Himmelsscheibe von Nebra
Noch weniger Ruhm erlangten die Grabräuber, die auf dem Mittelberg bei Nebra in Sachsen-Anhalt 1999 eine der bedeutendsten Entdeckungen Deutsch—lands, wenn nicht weltweit machten. Denn wenig löblich war das, was nach dem Fund passierte. Die Sonden-Sucher verkauften die weltweit älteste konkrete Darstellung astronomischer Phänomene nämlich an Hehler.
Als diese die „Ware“ später Museen anboten, kam ihnen zum Glück für die Archäologie die Polizei auf die Schliche.
3.600 Jahre alt ist die mit reichlich Gold gestaltete runde Platte, auf der sich Elemente des Tag- und Nachthimmels vermischen und über alles ein abstraktes Sternennetz gespannt wurde.
Die Himmelsscheibe gilt als die älteste konkrete Darstellung kosmischer Phänomene. Nicht umsonst wurde sie im Juni 2013 ins UNESCO-Dokumentenerbe „Memory of the World“ aufgemommen.
Übrigens wurde am Fundort der Himmelsscheibe von Nebra zwar ein Besucherzentrum gebaut, in dem die Geschichte mit interaktiven Präsentationen, Planetariumsshow, Kunst auf dem Weg zum Fundort und einem astronomischen Aussichtsturm dargestellt wird. Allerdings ist die Original-Himmelsscheibe nicht dort ausgestellt, sondern im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle.
Mehr Glück hatten da die Menschen unserer Region, denn die im früheren paläon und heutigen Forschungszentrum sind sehr wohl die originalen Schöninger Speere ausgestellt, die 1995 im Tagebau gefunden wurden. Anlässlich des anstehenden zehnten Geburtstag des Museums geht es in der -nächsten Woche um die Wurfgeschosse, die die Geschichtsbücher umschrieben.
Weitere Funde sorgten weltweit für Aufsehen
Es gibt einige weitere Funde, die ebenfalls Rückschlüsse auf das Leben der Menschen vor zehntausenden Jahren erlauben und weltweit für Aufsehen sorgten. Dazu zählt natürlich der „Ötzi“, den deutsche Wanderer zufällig 1991 im Eis der österreichisch-italienischen Alpen fanden. Der mumifizierte Körper des Mannes, der hinterrücks erstochen wurde, ist mehr als 5.200 Jahre alt. Beim Ötzi handelt es sich damit um die ältesten menschlichen Gebeine, die noch fast vollständig erhalten sind.
Für das Christentum war unter anderem der Fund der Nag-Hammadi-Schriften 1945 am oberägyptischen Nilufer besonders interessant. Bauer stießen in einer Kalksteinhöhle auf mehrere Papyrus-Bände, bei denen sich herausstellte, dass es sich bei einer Schrift um das verschollene Thomasevangelium handelt, das 114 Jesus-Sprüche enthält und im Jahr 170 in Syrien niedergeschrieben worden sein soll.
Dritter Teil (erschienen am 18. Juni 2023): Weitere Tagebaufunde sind sehr wertvoll
Im Monatsthema „Von Speer bis Pyramide: Faszination Archäologie“ geht es in dieser Woche um die im Titel erstgenannten Funde, die die ganze Region weltberühmt machten: die Schöninger Speere.
Zu Beginn der 1980er Jahre initiierte Dr. Hartmut Thieme vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege (NLD) ein Grabungs- und Forschungs-Projekt im Schöninger Tagebau.
Ursprünglich ging es darum, durch versteinerte Sedimente, Pollen, Samen, Hölzer, Reste von Groß- und Kleinsäugern, von Fischen, Vögeln und Insekten die Umwelt und das Klima vor hunderttausenden Jahren zu -rekonstruieren.
Von Menschen bearbeitete Steinwerkzeuge, Knochen- und Holzartefakte sowie zahlreiche Knochen mit Schnitt- und -Schlag-spuren, die gefunden wuden, ermöglichten bereits zu diesem Zeitpunkt neue Erkenntnisse über die Kultur der Frühmenschen. Im Jahr 1992 wurden dann in der Fundstelle „Schöningen 12 II-1“ die ersten bearbeiteten Hölzer entdeckt und als wahrscheinliche Klämmschäfte für Steinartefakte interpretiert. Im Herbst 1994 folgte in der Fundstelle „Schöningen 13 II-4“ die Entdeckung eines Wurfstockes, dem bis 1999 die Entdeckung von zehn Speeren und weiterer bearbeiteter Hölzer folgte.
Holzspeere wurden zur wissenschaftlichen Sensation
Die Sensation war geboren, denn die Holzspeere stellten sich als die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Menschheitsgeschichte heraus. Sie sind über 300.000 Jahre alt.
Die Speere und eine Lanze haben die wissenschaftlichen Vorstellungen zu den technisch-geis-tigen Fähigkeiten des frühen Menschen in Europa revolutioniert, die zuvor deutlich unterschätzt worden waren.
Die Speere beweisen: Der Homo heidelbergensis plante sein Handeln, besaß technologische Fähigkeiten, verfügte über ausgefeilte Jagdstrategien sowie über Kommunikationsvermögen und ein komplexes Sozialgefüge.
Die Menschen der Altsteinzeit waren dem modernen Menschen also sehr viel ähnlicher als lange angenommen.
Die Geschichte unserer Vorfahren musste nach dem weltweit bedeutenden Fund neu geschrieben werden.
Der Tagebau ist ein wahres Geschenk für Wissenschaftler
Damit aber nicht genug: Zum einen wurden weitere spektakuläre Ausgrabungen gemacht und zum anderen gibt die geologische Besonderheit des Schöninger Tagebaus aufschlussreiche Informationen über die Klimageschichte der Region.
Die Erdschichten gewähren einzigartige Einblicke in die Klimaentwicklung zwischen zwei Eiszeiten.
Neben den Schöninger Speeren wurden regelmäßig weitere spektakuläre Entdeckungen gemacht. Unter anderem wurden ein kompletter Auerochse, Reste von drei Säbelzahnkatzen, ein vollständiger Waldelefant und ein Wurfstock ausgegraben oder auch Eierschalen.
Neueste Sensation: 300.000 Jahre alte Fußabdrücke
Die neueste Sensation sind Fußabdrücke, die einmal mehr durch Zufall entdeckt wurden. Denn eigentlich wollten die Forscher der Universität Tübingen und des Senckenberg Instituts tierische Spuren erforschen, als sie auf die Abdrücke menschlicher Füße stießen.
In einer gemeinsamen Presseerklärung schrieben die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, die Universität Tübingen und das Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur im Mai dieses Jahres: „In einem von Gräsern bewachsenen offenen Birken- und Kiefernwald liegt ein wenige Kilometer langer und einige hundert Meter breiter See. An dessen schlammigen Ufern finden sich Herden von Elefanten, Nashörnern und Paarhufern ein, um zu trinken oder zu baden. Inmitten dieser Szenerie steht eine Kleinfamilie der ‚Heidelberger Menschen‘, einer heute ausgestorbenen Menschenart.“
So bildgewaltig wird der besondere Fund dargestellt, der für die Wissenschaft erneut wichtig ist. Die Fußabdrücke sollen ein Bild des Ökosystems von vor 300.000 Jahren nachzeichnen.
Dr. Flavio Altamura, Stipendiat vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen (SHEP), hat die Studie verfasst, in der dargestellt wird, dass es sich um die ältesten bisher entdeckten menschlichen Fußspuren handelt.
Zwei der drei menschlichen Spuren ordnen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jungen Individuen zu, die in einer kleinen, altersgemischten Gruppe den See und dessen Ressourcen nutzten. „Je nach Jahreszeit waren rund um den See Pflanzen, Früchte, Blätter, Triebe und Pilze verfügbar. Unsere Funde bestätigen, dass die ausgestorbene Menschenart sich an See- oder Flussufern mit flachem Wasser aufhielt. Das ist auch durch andere Fundstellen mit Homininen-Fußabdrücken des Unter- und Mittelpleistozäns bekannt“, so Altamura.
Die verschiedenen Spuren zeigten eine Momentaufnahme eines Familienalltags und könnten über das Verhalten und die soziale Zusammensetzung der Homininen-Gruppe Auskunft geben sowie über die räumliche Interaktion und Koexistenz mit Elefantenherden und anderen, kleineren Säugetieren, heißt es in der Studie.
„Es handelt sich aufgrund der Spuren auch von Kindern und Jugendlichen wohl eher um einen Familienausflug, als um eine Gruppe erwachsener Jagender“, fasst der Archäologe und Experte für fossile Fußabdrücke zusammen.
„In Schöningen schlummern noch viele Geschichten“
In regelmäßigen Abständen machen Wissenschaftler, die in Schöningen aktiv sind, seit den 1990er Jahren auf sich aufmerksam. Und so wird es wohl in Zukunft bleiben.
Der wissenschaftliche Grabungsleiter in Schöningen, Dr. Jordi Serangli, kann über die bisherigen und noch folgenden Entde-ckungen im einstigen Braunkohletagebau nur schwärmen: „Aus der Sicht eines Archäologen ist ein Fund immer ein Schlüssel, um die Geschichte unserer Vorfahren besser zu verstehen – und in Schöningen schlummern noch viele Geschichten“, macht der Senckenberg-Archäologe gespannt auf weitere Entdeckungen…
Zum zehnjährigen Jubiläum des Forschungsmuseums Schöningen werden am nächsten Wochenende natürlich Führungen zur Ausgrabungsstelle angeboten.
Selbst ohne Jubiläum erklären Wissenschaftler immer sonnabends und sonntags 13.30 Uhr, was die Grabungen im Tagebau so besonders machen.
Vierter Teil (erschienen am 25. Juni 2023): Zum Abschluss geht es nach Italien
In Italien oder noch besser direkt in der Hauptstadt Rom ist das Monatsthema „Von Speer bis Pyramide – Faszination Archäologie“ in solch einer Wucht hautnah zu erleben, wie wahrscheinlich nirgendwo anders auf der Welt.
Rund um den kleinsten Staat der Erde, Vatikanstadt, ist die geballte Ladung an alten Bauten, Ausgrabungsstätten und Ruinen zu bestaunen. Forum Romanum, Kolosseum, Panteon und so viele mehr sind Zeugen der Vergangenheit, die viele Geschichten zu erzählen haben.
Romulus und Remus – Mythos oder Wahrheit?
Und trotzdem ist über die Frühzeit Roms wenig bekannt. Ist der Mythos von Romulus und Remus wahr oder wie entstand die Sieben-Hügel-Stadt vor fast 3.000 Jahren sonst?
Historiker und Archäologen sind sich bei dem Thema heute noch uneins. Große Aufmerksamkeit wurde der Gründungserzählung durch die Zwillingsbrüder zuteil, als Archäologen Anfang 2020 verkündeten, sie hätten das Grab des Romulus gefunden.
Laut der Sage sollen Romulus und Remus bei einer Vergewaltigung gezeugt und nach ihrer Geburt in einem Korb auf dem Tiber ausgesetzt worden sein. Als der Korb ans Ufer gelangte, wurden die Babys von einer Wölfin gefunden, die die Zwillinge säugte. Bilder davon sind noch heute in der ganzen Stadt zu finden.
Als Romulus und Remus erwachsen waren, sollen sie sich an ihrem Erzeuger gerächt und an der Stelle, an der sie ausgesetzt wurden, eine Stadt gegründet haben.
Das soll am Fuß des Palatin-Hügels geschehen sein.
Allerdings gerieten die Brüder über den Stadtnamen in Streit, der für Remus tödlich endete, als Romulus ihn erschlug. Romulus soll darauf ab dem 21. April 753 v. Chr. über Rom geherrscht haben.
Keine Belege für diese Gründungsgeschichte – oder?
Das „Problem“ an der Sage ist, dass dafür bisher keine echten Belege gefunden wurden. Entsprechend war die Aufregung groß, als im Februar 2020 der Fund der Grabstätte Romulus‘ verkündet wurde.
Allerdings stellte sich rasch heraus, dass in der angenommenen letzten Ruhestätte des berühmten ersten Königs der Hauptstadt Italiens vermutlich nie ein Mensch bestattet wurde. Und das, obwohl in dem unterirdischen Raum ein steinerner Sarkophag gefunden wurde. Dabei soll es sich allerdings nur um ein „Heroon“ – das Scheingrab eines Helden – handeln.
Solche Heiligtümer sind aus dem östlichen Mittelmeerraum bekannt, verehrten etwa die Griechen ihre mythischen Stadtgründer doch in solchen Heroonen.
Über drei Jahre nach dem Auffinden der angeblichen Begräbnisstätte jedenfalls soll diese noch immer untersucht werden. Etwas anderes ließen die Entdecker bisher jedenfalls nicht verlauten.
Es ist erstaunlich, dass in der antiken Metropole, in der historische Zeugnisse sich geradezu zu stapeln scheinen, so wenig über iher Anfänge zu erfahren ist.
Historiker berufen sich oftmals auf schriftliche Quellen, was im Fall von Rom allerdings schwierig ist, da eigentlich alle Dokumente erst lange nach der Stadtgründung entstanden sind. Also bleibt offenbar nur noch die Lösung, auf archäologische Funde zu vertrauen.
Grabungen gestalten sich jedoch äußerst schwierig, da die Stadt über die vielen Jahrhunderte ihres Bestehens immer wieder überbaut wurde. Die ältesten Stellen Roms, die Funde aus der Frühzeit beherbergen können, sind nur noch in geringer Zahl vorhanden: der Palatin, das Kapitol und das Forum Romanum.
Die Schichten aus der Frühzeit lassen sich nur mit großem technischem Aufwand erforschen, da Archäologen bei ihren „normalen“ Grabungen häufig auf Grundwasser stoßen.
Das wiederum verdeutlicht, warum die Metropole entstanden ist: Am Tiber, der reichlich Trinkwasser führte, soll es in der Frühzeit zahlreiche bewaldete Hügel gegeben haben. Derlei Erhebungen boten Schutz, lieferten Holz und saftige Weiden für die Hirten, die dort Schafe und Ziegen züchteten.
Bronzezeitliche Keramiken belegen erste Siedlungen
Ausgegrabene bronzezeitliche Keramikfragmente belegen, dass um 1500 v. Chr. bereits Menschen in kleinen Gruppen dort gesiedelt haben. Überall im mittelitalienischen Raum seien schon im zehnten und neunten Jahrhundert vor Christus solche Siedlungen entstanden, die Archäologen proturbane Zentren nennen und die als Vorstufe von Städten gelten.
In Rom war das ein wenig anders. Durch Erdbohrungen belegte ein internationales Forscherteam um den US-Archäologen Albert J. Ammerman zu Beginn des 21. Jahrhunderts, dass der Tiber in frühen Zeiten regelmäßig für Überflutungen sorgte, weshalb die Menschen Zuflucht auf den Hügeln suchten. Auf den einzelnen Hügeln, die zeitweise als Inseln aus dem Fluss herausragten, enstanden Siedlungen, die lange Zeit nicht miteinander verschmolzen, da das Wasser sie trennte.
Bis heute wird darüber gestritten, wann die Siedlungen zu einer Gemeinschaft zusammenwuchsen.
Innovative Ingenieurskunst aus der Gemeinschaft heraus
Offenbar ist es schlichtweg innovativer Ingenieurskunst zu verdanken, dass aus Rom eine Metropole erwuchs. Weil es den Menschen irgenwann an Platz mangelte, sollen sie bereits um 650 v. Chr. in rege Bautätigkeit verfallen sein und die Tieflagen zwischen den Hügeln aufgeschüttet haben.
Wie Grabungen belegen, entstand auf den ansonsten regelmäßig überfluteten Stellen des Tiber ein etwa 100 Meter langes Areal, das mit Tonerde und Kieselsteinen gepflastert wurde.
Womöglich war dieses Bauprojekt eine gemeinsame Entscheidung der Hügelbewohner, das dazu führte, dass an der aufgeschütteten Stelle – dem Forum Romanum – die Stadt ihren Ursprung hatte.
Und das wäre am Ende womöglich die löblichste Idee der Stadtgründung: Wenn aufgrund einer demokratischen Entscheidung die friedvolle Gemeinschaft zur Entstehung Roms führte und nicht Mord und Totschlag zwischen zwei Büdern…
Katja Weber-Diedrich, geboren 1976 in Helmstedt, ist seit fast 30 Jahren Lokaljournalistin durch und durch. Der Legende nach tippte die ehrenamtlich Engagierte vor 25 Jahren den ersten HELMSTEDTER SONNTAG an einer Bierzeltgarnitur. Sowohl die Tiefen der deutschen Grammatik als auch die Wirren der Helmstedter Politik sind der Chefredakteurin nicht fremd; ihr Markenzeichen sind ehrliche Kommentare und Hartnäckigkeit.