Diesmal geht es um die Behauptung, dass Computerspiele aggressiv machen. 

von Nico Jäkel

Die Antwort darauf gleich vorweg: Sie lautet ganz klar „Jein“. Mehr dazu aber später im Detail.

Die Frage selbst, also ob Computerspiele aggressiv machen, taucht medial und gesellschaftlich besonders häufig dann auf, wenn nach einem überregional bekanntgewordenen Gewaltgeschehen nach dem Grund dafür gesucht wird. Beinahe obligatorisch wird dann beleuchtet, ob der Täter eventuell sogenannte Ego-Shooter gespielt hat. Also Spiele, bei denen der Spieler aus der Ich-Perspektive bewaffnet durch die virtuelle Welt rennt und auf virtuelle Gegner schießt.  Ist das der Fall, wird, zumindest in der Berichterstattung, der weitere Rahmen nahezu ausgeblendet.

Es gibt tausende Studien

Im Fokus stehen dann Experten zum Thema, die allerlei Studien herbei zitieren. Das Problem daran ist: Es gibt weit über 1.000 dazu. Mit den unterschiedlichsten Ergebnissen. So wird scheinbar, je nach Position, für oder gegen die Grundthese argumentiert.

In Summe also lautet die Antwort scheinbar tatsächlich „Jein“.

Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht.

Viele der Studien sind nämlich für eine allgemeingültige Aussage schlicht nicht geeignet, da sie nur einen sehr speziellen Fokus abdecken. Geht es um kurzfristige Steigerung des Aggressionspotenzials oder um nachhaltige Folgen? Geht es um eine spezielle Art Spiel oder um das Spielen im Allgemeinen? Welche Altersgruppe war in der Studie betroffen und welche Faktoren wurden dafür noch berücksichtigt?

Das Thema an sich beschäftigt die Wissenschaft seit den 1980er Jahren. Wenngleich es heute abstrakt klingt, solch eher banalen Spielereien wie virtuellem Tischtennis, das aus zwei Strichen und einem Punkt besteht, ein Aggressionspotenzial anzudichten, wurden genau solche Dinge aber dennoch untersucht.

Aus der Vielzahl der Untersuchungen schließlich wurden sogenannte Metastudien erstellt. Darunter fallen auch solche Studien, die die Ergebnisse mehrerer Studien in einen Gesamtkontext bringen.

Verbindung: Ja, Grund: Nein

Betrachtet man diese, wird eine mögliche Aussage deutlich einfacher. So gilt als allgemeinhin akzeptierte Meinung, dass es eine Korrelation (Verbindung) zwischen einem gesteigerten Aggressionsverhalten und dem Spielen von Computerspielen gibt. Davon, dass das Computerspielen aber die (alleinige) Kausalität (der Grund) für ein indiviuell anderes Verhalten ist, nehmen die meisten dieser Studien dennoch Abstand.  

Der Grund für diese Aussagen ist, dass es scheinbar einen großen Unterschied macht, in welchem Alter gespielt wird, welchen Geschlechts die Spieler sind, wie sie sozialisiert wurden und wie sich das allgemeine Umfeld der jeweiligen Person zum gegenwärtigen Zeitpunkt darstellt. Und das ist noch immer nicht alles: Geht es um kurzfristige Folgen oder langfristige?

Eine Meta-Analyse von Markus Appel und Constanze Schreiner von der Universität Koblenz-Landau kommt zu folgendem Fazit: „Vor dem Hintergrund der beeindruckenden Datenlage kann die Erkenntnis als empirisch gut gesichert angesehen werden, dass Gewaltspiele zu erhöhtem aggressivem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen beitragen können.“ Gefolgt von der Einschränkung, dass dargestellte Gewalt nicht zwingend notwendige oder hinreichende Bedingung für aggressives Verhalten sei. Andere Studien untersuchten wiederum die Wertigkeit entsprechender Einflüsse auf aggressives Verhalten, mit der Erkenntnis, dass ein höherer Risikofaktor für eine gesteigerte Gewaltbereitschaft darin liege, schlicht männlichen Geschlechts zu sein.

Art des Spiels ist unwichtig

Ebenso deutet Vieles auf einen wissenschaftlichen Konsens hin, wenn es um die Frage geht, ob es einen Unterschied macht, welche Spiele gespielt werden. Das erstaunliche Ergebnis lautet, das dieser Punkt eher zu vernachlässigen sei. Im Querschnitt nämlich glichen sich, so eine weitere Meta-Untersuchung, die Erkenntnisse zu unterschiedlichen Spielgenres und Spielmodi gewissermaßen aus. Je nach Vorveranlagung des jeweiligen Spielers können ein harmlos daherkommendes Spiel wie Pong (das angesprochene virtuelle Tischtennis) ebenso viel Aggressionspotenzial liefern wie eine moderne Fußballsimulation oder eben ein realistischer Ego-Shooter. Gleichwohl liegt die Betonung stets auf „können“. 

Warum ein „Jein“ die beste Antwort ist

Zusammengefasst lässt sich also grundsätzlich zumindest eine Richtung festhalten, in der die allgemeine wissenschaftliche Arbeit hindeutet.

Kinder und Jugendliche scheinen eher betroffen als Erwachsene, eine gesteigerte Aggression ist eher kurzfristige Folge des Spielens während kaum nachhaltige Folgen beobachtet wurden und deutlich schwerwiegender als die Art des Spiels das gespielt wurde, sind für tatsächlich gewalttätiges oder aggressives Verhalten gänzlich andere Faktoren. 

Es ist also nicht ausgeschlossen, das Computerspiele eine Rolle für aggressives Verhalten spielen, alleiniger Grund sind sie allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit nicht.

Chefredakteurin at Helmstedter Sonntag | + posts

Katja Weber-Diedrich, geboren 1976 in Helmstedt, ist seit fast 30 Jahren Lokaljournalistin durch und durch. Der Legende nach tippte die ehrenamtlich Engagierte vor 25 Jahren den ersten HELMSTEDTER SONNTAG an einer Bierzeltgarnitur. Sowohl die Tiefen der deutschen Grammatik als auch die Wirren der Helmstedter Politik sind der Chefredakteurin nicht fremd; ihr Markenzeichen sind ehrliche Kommentare und Hartnäckigkeit.