von Katja Weber-Diedrich
„Mit dem Überfall auf die Ukraine ist Deutschland, ist Europa und ist die freie Welt bedroht – weil die Ukraine genau das verkörpert, was Putin Angst macht: Das ist Demokratie, das ist Freiheit.“ Das sagte Journalistin Kris-tina Dunz vergangene Woche in der ARD-Sendung Anne Will. Die stellvertretende Leiterin des Hauptstadtstudios des Redaktionsnetzwerkes Deutschland (RND) führte in der Fernsehsendung aus, dass der russische Präsident Wladimir Putin bei seinem Überfall auf die Ukraine die Stärke der Demokratie unterschätzt habe.
Ist es denn wirklich so, dass die Demokratie das höchstes Gut der Menschheit und damit zugleich die Garantie für ein friedliches Leben ist? Und lässt sich das besonders anhand eines Krieges belegen, wie er seit zehn Tagen mitten in Europa wütet?
Genau das ist der Punkt: Russlands Präsident Wldaimir Putin hat ein Land in Europa überfallen, das nach der Demokratie strebt, in dem freie Wahlen stattfinden und die Menschen ihre Meinung sagen dürfen, ohne dafür verhaftet zu werden. Geografisch liegt dieses Land in Europa und eine EU-Mitgliedschaft wird inzwischen zumindest in Aussicht gestellt. In der EU gilt als höchste Prämisse, dass die Mitgliedsstaaten demokratisch sind. Das deutsche Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beschreibt das Leben in einer Demokratie so: „Deutschland ist ein weltoffenes Land, das einer vielfältigen Gesellschaft Raum und Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Diese Vielfalt ist eine Quelle des sozialen Zusammenhalts und des kulturellen Reichtums.“
Weiter heißt es auf der Internetseite des Ministeriums: „Akzeptanz und Respekt sind Grundbedingungen eines friedlichen Zusammenlebens. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, die freie Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz sind elementare Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung.“ Durch das Grundgesetz würde dies in Stein gemeißelt und der Schutz aller Menschen vor Rassismus und Diskriminierung sei für die Bundesregierung ein Ziel von herausragender Bedeutung. Das zu garantieren, dafür sei die Demokratie der Baustein schlechthin. Deshalb heißt es in der Beschreibung des Programms „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ des Bundesfamilienminis-teriums auch: „Unsere Demokratie muss jeden Tag neu mit Leben gefüllt werden. Sie braucht Menschen, die demokratische Kultur leben, sie erhalten und gestalten.“
Nun kommt ein Kremlchef daher, der für den Ausbau seiner Macht über Leichen geht und überfällt ein Land. Ein Land, das gerade erst vor wenigen Jahren die Vorteile der Demokratie erkannt und fortwährend ausgebaut hat. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und seine Bürger wollen die mit der Demokratie verbundene Freiheit aber mit aller Macht verteidigen, weshalb sie sich so unerbittlich der russischen Übermacht entgegen stellen. Selenskyj hat in den vergangenen Tagen durch seinen Mut die ganze Welt beeindruckt. Den Mut fasst er, um sein Volk zu beschützen. Sein Volk und auch die Demokratie. Die Verteidigung der Demokratie hat sogar in Deutschland für eine Zeitenwende gesorgt. Denn nach der Sondersitzung des Bundestages mit der anschließenden Regierungserklärung des Bundeskanzlers Olaf Scholz am vergangenen Sonntag war klar: Die eher zurückhaltende Verteidigungs- und auch die Energiepolitik der vergangenen Jahrzehnte wird über den Haufen geworfen, um der Ukraine zu helfen und die Demokratie zu schützen.
In die Aufrüstung der Bundeswehr werden 100 Milliarden Euro investiert, eine Energiewende im Sprint soll dafür sorgen, unabhängig vom russischen Gas zu sein und es werden Waffen in ein Kriegsgebiet geliefert. Noch vor wenigen Wochen war all dies undenkbar. Umso deutlicher wird dadurch aber, wie wichtig die Demokratie für die Menschen ist, damit sie in Freiheit leben können. „Angriffe auf Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit stellen den Staat und die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit vor Herausforderungen“, erkannte das Bundesfamilienministerium deshalb auch schon lange vor Kriegsbeginn in der Ukraine.
Katja Weber-Diedrich, geboren 1976 in Helmstedt, ist seit fast 30 Jahren Lokaljournalistin durch und durch. Der Legende nach tippte die ehrenamtlich Engagierte vor 25 Jahren den ersten HELMSTEDTER SONNTAG an einer Bierzeltgarnitur. Sowohl die Tiefen der deutschen Grammatik als auch die Wirren der Helmstedter Politik sind der Chefredakteurin nicht fremd; ihr Markenzeichen sind ehrliche Kommentare und Hartnäckigkeit.