Diesmal geht es um die Behauptung, dass im Bezug auf Wahlen in einer Demokratie eine Wahlpflicht die „Volksherrschaft“ komplettieren würde.

von Nico Jäkel

Abgeleitet ist diese Behauptung von einer Leserfrage von Marion Pesenecker, die den HELMSTEDTER SONNTAG fragte: „Warum in unserer Demokratie nicht eine Wahlpflicht eingeführt werden kann“.

Das Thema selbst ist keineswegs neu. Bei praktisch jeder politischen  Wahl in Deutschland wird  – häufig mit Blick auf niedrige Wahlbeteiligung – die Frage laut, warum es keine Wahlpflicht gibt. In 27 Staaten existiert eine solche sogar. Seit langem praktiziert und mit zum Teil Gefängnisstrafe (im Wiederholungsfall) bei Nichtbeachtung versehen, gibt es sie in Australien. 

In anderen Ländern existiert sie ebenfalls (zum Beispiel Türkei, Belgien oder Griechenland), wobei dort eher symbolische Strafen existieren oder sie ganz abgeschafft sind. Das Ergebnis in diesen Ländern ist, wie zu erwarten, eine höhere Wahlbeteiligung. 

Keine Anzeichen für eine „bessere Demokratie“

Zu bezweifeln ist jedoch, ob eine höhere Wahlbeteiligung eine bessere Demokratie verspricht.

Über drei Viertel aller Staaten der Welt kommen ohne eine Wahlpflicht aus. Darunter einige, die zwar regelmäßig Wahlbeteiligungen von nur rund 50 Prozent aufweisen, aber dennoch zu den ältesten, stabilen Demokratien gehören. In Ländern wie Großbritannien, den USA oder der Schweiz gibt es aktuell keine Hinweise darauf, dass die niedrige Wahlbeteiligung die Arbeit der Verfassungsorgane beeinträchtigt, also dass die niedrige Wahlbeteiligung die Demokratie schwächt. 

Blickt man in der Deutschen Geschichte zurück auf die Weimarer Republik, wird deutlich, dass eine hohe Wahlbeteiligung auch gefährlich sein kann. Damals waren es vor allem die KPD und NSDAP, also die Demokratiefeinde, die den größten Stimmgewinn verzeichneten, als die Wahlbeteiligung hoch schnellte. Die Mobilisierung der Wählerschaft kann also nicht nur Demokraten und politisch Versierte an die Wahlurne bringen, sondern auch Bürger, die anti-demokratische Einstellungen haben oder sich nur wenig für Politik interessieren – und deshalb vielleicht besonders empfänglich wären für populistische Parolen und vermeintlich einfache Lösungen. Die Einführung einer Wahlpflicht würde solche Bürger nicht nur in Krisenzeiten an die Wahlurne führen, sondern dauerhaft mobilisieren, heißt es dazu in einem Text der Bundeszentrale für politische Bildung. 

Die einfache Gleichung „hohe Wahlbeteiligung gleich gute Wahl, niedrige Wahlbeteiligung gleich schlechte Wahl“ geht also nicht auf. Ob das jeweilige Ergebnis nun als gut oder schlecht gewertet wird, lässt sich allerdings ohnehin nur vom jeweilig politischen Standpunkt beurteilen.

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Katja Weber-Diedrich, geboren 1976 in Helmstedt, ist seit über 25 Jahren Lokaljournalistin durch und durch. Der Legende nach tippte die ehrenamtlich Engagierte vor über 23 Jahren den ersten HELMSTEDTER SONNTAG an einer Bierzeltgarnitur. Sowohl die Tiefen der deutschen Grammatik als auch die Wirren der Helmstedter Politik sind der Chefredakteurin nicht fremd; ihr Markenzeichen sind ehrliche Kommentare und Hartnäckigkeit.