Es geht um die Behauptung, dass Geräusche krank machen können.

von Natalie Reckardt

Für dieses Phänomen gibt es selbstverständlich einen Begriff. Es nennt sich Misophonie. Dies beschreibt eine Überempfindlichkeit auf Geräusche, die vermutlich psychischen Ursprungs ist. Erstmals beschrieben haben den Ekel und die Wut auf Geräusche die amerikanischen Neurowissenschaftler Pawel und Margaret Jastreboff. Das Forscherehepaar beschäftigte sich schon in den 1990er Jahren mit dem Phänomen – und gab ihm auch seinen Namen. Bislang ist die Misophonie keine „anerkannte“ Erkrankung. Die meisten Psychiater würden bei den Patienten eher an eine Phobie, eine posttraumatische Belas­tungsstörung oder eine Zwangsstörung denken. Der niederländische Psychiater Damiaan Denys von der Freien Universität Amsterdam hat jedoch vor drei Jahren bereits Unterschiede herausgearbeitet.
So sei die Reaktion bei Menschen mit Misophonie grundsätzlich anders als bei einer Phobie. Sie zeigten keine Angst, sondern eher eine Aggression. Ein schweres trauma­tisches Erlebnis wie bei der posttraumatischen Belas­tungsstörung sei in der Regel nicht erkennbar, schrieb Denys in „Plos One“. Und im Unterschied zur Zwangsstörung würden die Patienten die Geräusche in der Regel zu vermeiden suchen.
Häufige Symptome sind unter anderem übermäßige Reaktion auf einfache Geräusche, verzweifelte Versuche, unbequeme Orte zu verlassen, unverhältnismäßige Gereiztheit, schlechte Laune, Wutanfälle sowie Beleidigungen des Verursachers eines Geräusches. Parallel dazu gibt es auch die Phonophobie, diese beschreibt dann die „Extremfälle”: Der Betroffene fühlt sich immer noch von bestimmten Geräuschen gestört, hinzu kommt die Angst vor besonders lauten Geräuschen wie dem Hupen eines Autos, Baulärm, Feuerwerk oder auch Sirenen. In einer solchen Situation kann der Betroffene Nerven- und Schweißausbrüche, Herzrasen oder auch Ohnmacht erleiden. Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. Christian Hellweg aus Frankfurt hat sich auf das Thema spezialisiert und erklärt: „Bei einer Misophonie sind die synaptischen Verbindungen im Bereich der zentralen Hörbahn im Gehirn mit anderen Zentren des Zentralnervensystems gestört. Daher entstehen dann – selbst für den Betroffenen oft unerklärlich – diese emotionalen Reaktionen oder Ausbrüche.“ Diese können laut Hellweg vom Betroffenen nicht kontrolliert werden und sind reflexartige Reaktionen.

Wie die Misophonie ausgelöst werden kann, darüber sind sich Experten noch nicht einig. Hellweg sagt weiter: „Die Störung der Misophonie beruht ja im Grunde auf falschen Konditionierungen, die sich auf bestimmte Triggersignale, also Auslöser, hin im Zentralnervensystem gebildet haben. Wieso das bei einem Menschen passieren kann, bei einem anderen aber nicht, weiß man leider noch nicht genau.“
Doch wie können diese Probleme behandelt werden? Es wird vielleicht angenommen, dass die betroffene Person über das Gehör behandelt werden kann, doch dem ist nicht so.
Trotzdem sollte ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt in diesen Fällen hinzugezogen werden, denn er kann im Rahmen der Behandlung eine Gewöhnungstherapie für Geräusche oder den Tinnitus verordnen. Die Reizbarkeit gegenüber alltäglichen Geräuschen basiert auf einer irrationalen Angst. Daher ist eine multidisziplinäre Herangehensweise unumgänglich, die nur ein Team aus Logopäden, Psychiatern und Psychotherapeuten bieten kann. Es gibt keine Heilung für dieses Phänomen, aber eine angemessene Behandlung kann es dem Betroffenen erleichtern, damit umzugehen und die Lebensqualität aufrechtzuerhalten.

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Natalie Tönnies, geboren 1999 in Schönebeck (Elbe), ist das Küken in der Redaktion des HELMSTEDTER SONNTAG und steckt mitten in ihrem Volontariat. Die Danndorferin ist eine leidenschaftliche Sportschützin mit einer kleinen Abneigung gegenüber (Führerschein-)Prüfungen. Sie schreibt unheimlich gerne die Fleischerseite des HELMSTEDTER SONNTAG.