Im Monatsthema August geht es um Journalismus im Wandel der Zeit.
Teil I: Vom rasenden Reporter zur Lügenpresse?! – Von der Schreibmaschine zum E-Paper: Das Monatsthema im August beschäftigt sich mit dem „Journalismus im Wandel der Zeit“
(erschienen am 1. August 2021)
Bei Demonstrationen der Pegida oder der Querdenker, in unfreien Staaten, in den von Präsident Trump regierten Vereinigten Staaten oder jüngst bei der Berichterstattung über die Flutkatastrophe in Deutschland – Journalisten auf der ganzen Welt stehen immer wieder im Kreuzfeuer, werden nicht nur kritisiert, sondern auch verletzt oder eingesperrt. Und manchmal sogar getötet, wie jüngst in den Niederlanden, wo der Kriminalreporter Peter R. de Vries niedergeschossen wurde und an den Folgen seiner Verletzungen starb. Ist Journalist ein lebensgefährlicher Beruf? „Quatsch“, mag man darauf direkt antworten, weil lebensbedrohende Vorfälle zu selten passieren, als dass sie als gefährlich für alle Medienschaffenden angesehen werden könnten. Aber ist das nicht zu kurz gedacht? Erinnern wir uns einmal an den terroristischen Anschlag auf die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“ oder an die weltweit Aufsehen erregende Inhaftierung des Journalisten Deniz Yücel in der Türkei, um nur zwei Beispiele zu nennen. Und auch hierzulande ist in den vergangenen anderthalb Jahren deutlich geworden, dass Angriffe auf Journalisten zunehmen: Das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig ermittelte in einer Studie Anfang dieses Jahres, dass die Proteste gegen die Corona-Politik zu mehr Gewalt gegen Journalisten geführt haben.
Was hat sich in den vergangenen Jahr(zehnt)en geändert?
Im Monatsthema für den August „Journalismus im Wandel der Zeit“ geht es auch um den zunehmenden Druck, dem die „schreibende Zunft“ weltweit ausgesetzt ist. Vor allem soll aber der allgemeine Wandel im Medienwesen – besonders vor Ort in Lokalredaktionen – thematisiert werden. Im ersten Teil wird ein Blick auf aktuelle Veränderungen geworfen, der dank der „Reporter ohne Grenzen“ weltweit möglich ist. Auf deren Internetseite heißt es: „Ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie stehen Journalistinnen und Journalisten in vielen Teilen der Welt so stark unter Druck wie selten zuvor. Informationssperren und staatliche Desinformation, willkürliche Festnahmen und Gewalt gegen Medienschaffende schränkten die Pressefreiheit auf allen Kontinenten ein.“
Pressefreiheit in Deutschland wurde herabgestuft
Die Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF) zeigt jährlich die Veränderungen auf. Die aktuelle -Rangliste 2021 eröffnet, dass repressive Staaten die Pandemie missbrauchten, um freie Berichterstattung weiter einzuschränken. Aber auch gefestigte Demokratien taten sich in der Krise schwer, sicherzustellen, dass Journalis-ten ihre Arbeit machen können. „Noch nie seit Einführung der aktuellen Methodik im Jahr 2013 gab es so wenige Länder, in denen RSF die Lage der Pressefreiheit als ‚gut‘ bewertete“, heißt es weiter. Die Zahl der „guten“ Staaten innerhalb der bewerteten 180 Länder sank von 13 auf zwölf. Selbst für Deutschland wird die Lage lediglich als „zufriedenstellend“ bewertet. Bisher war sie immer „gut“ gewesen. Laut Michael Rediske, Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen, hängt diese Herabstufung direkt mit der Corona-Pandemie zusammen: „Aufgrund der vielen Übergriffe auf Corona-Demonstrationen muss-ten wir die Lage der Pressefreiheit in Deutschland von ‚gut‘ auf nur noch ‚zufriedenstellend‘ herabstufen: ein deutliches Alarmsignal.“ Unabhängiger Journalismus sei aber das einzig wirksame Mittel gegen die Desinformations-Pandemie, die seit einem Jahr die Corona-Pandemie begleitet. Gleichzeitig sei es im vergangenen Jahr für viele Journalisten schwieriger denn je geworden, ohne Angst vor Gewalt oder Repressionen zu arbeiten. Diese Aussagen lassen sich vielfältig belegen. Beispielsweise musste ein ARD-Reporter bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Stuttgart am Karsonnabend eine Live-Sendung abbrechen, weil sein Team mit Gegenständen beworfen wurde. Wie der SWR berichtet, sei die Szene im Netz als angebliche „Operation der Lügenpresse“ verdreht worden: „Nachdem es sonst nichts Schockierendes zu berichten gab, musste man selbst für eine ‚Schlagzeile‘ sorgen!“ hieß es da. Der SWR schlussfolgerte daraus: „Der Zynismus dieser Zeilen wirft ein Schlaglicht auf das zerrüttete Verhältnis zwischen den selbsterklärten Verteidigern des Grundgesetzes und der etablierten Medienlandschaft.“
„Respekt muss zurückkehren“
Für RSF-Vorstandssprecher Rediske ist klar: „Wenn die Welt nun hoffentlich bald zur Normalität zurückkehrt, muss auch der Respekt für die unabdingbare Rolle des Journalismus für eine funktionierende Gesellschaft zurückkehren.“ Da für den heutigen Sonntag eine Großdemo der Querdenker gegen die Corona-Maßnahmen angekündigt ist, wird sich zeigen, ob sich die Lage inzwischen entspannt…
Teil II: Von eigenen Scherzen und manchen Schmerzen eines Redakteurs
(erschienen am 8. August 2021)
„Sei still, die Presse hört mit.“ Das ist ein Ausspruch, den Journalisten des Öfteren zu hören bekommen. Meist erlaubt sich jemand im Bekanntenkreis damit einen Scherz. Allerdings kann ein solcher Satz bei der angesprochenen Person – gerade im privaten Umfeld – schmerzen. Denn es ist natürlich nicht so, wie so mancher Blockbuster vermuten lässt, dass ganz normale Redakteure 24/7 nichts anderes tun, als heiße Storys aufspüren zu wollen. Im Gegenteil: So mancher Vertreter der schreibenden Zunft ist froh, auch mal Feierabend – und damit Freizeit – zu haben… Nun ist es quasi in die Wiege gelegt, dass Journalisten nicht von allen geliebt werden können. Gerade da, wo kontrovers diskutierte Themen aufgegriffen werden, wo (als solche gekennzeichnete) Meinung kundgetan wird oder dann, wenn eine bestimmte Klientel beziehungsweise ein bestimmtes Tun kritisch beleuchtet wird, gibt es natürlich diejenigen, die völlig anderer Meinung sind. Es tut dem Journalismus gut, wenn diskutiert wird. Und Zeitungsredakteure freuen sich in der Regel darüber, wenn sie einen bunten Meinungsaustausch angestoßen haben. Aber natürlich muss dabei alles „über der Gürtellinie“ bleiben. Auf beiden Seiten.
Viele Danksagungen, aber auch (unpassende) Kritik
Um unsachliche Kritik, Hetze und Herabwürdigung gegenüber Journalisten darzustellen, verwenden wir ein ganz aktuelles, „überregionales“ Beispiel. Am Montag wurden die Preise für die besten Journalisten des Jahres vergeben. Wie wir bereits vor einigen Wochen berichteten, ist Mai Thi Nguyen-Kim die „Journalistin des Jahres“. In mehreren Tweets (www.twitter.com) verbreitete sich diese Nachricht. Es gab zwar Anerkennung für die Wissenschaftsjournalistin, die mit ihren YouTube-Videos komplexe Themen so gemeinverständlich erklärt wie „Die Sendung mit der Maus“ für Erwachsene. Aber es gab eben auch viel Häme und Spott, die oft noch mit dem Hashtag #Luegenpresse versehen war. Kommentiert wurde beispielsweise so: „Eine Farce. Die Medien verleihen einem Sys-temclown für seine ganz besonders hinterhältigen Beeinflussungen ahnungsloser Zuschauer einen weiteren Preis…“ („Volkerssohn“), „… Wer der Ideologie des Systems brav dient, der wird mit einem Orden behängt.“ („Fürst Kozel“) oder „Schrecklich. Wo kommen wir hin, wenn Leute, die bedingungslos sys-temkonform sind und offensichtlich kein Gewissen haben, genau dafür auch noch ausgezeichnet werden.“ („Thadus“).Natürlich befinden sich auch viele Glückwünsche in den Kommentaren und Danksagungen an Nguyen-Kim für ihre „sympathische Art, komplexe Themen verständlich zu machen“. Der Twitter-Nutzer Dr. Michael Schmitz teilte den Beitrag beispielsweise mit dem Beisatz: „Wer einen Blick auf den schmierigen, düsteren Bodensatz werfen will, den es auf Twitter gibt, der muss nur einen Blick in die Kommentare werfen! Das ist wirklich traurig…“
Anonym schimpft es sich doch viel besser…
Gerade die Anonymität in sozialen Medien macht es heutzutage spielend einfach, jemanden – in unserem Fall Journalisten – zu beleidigen und ihnen gar zu drohen. Sehr deutlich machte das das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am 30. April, als es im täglichen Newsletter wortwörtlich wiedergab, wie der Leiter des Gesellschaftsressort im RND, Imre Grimm, beschimpft wurde. Vorausgegangen war sein (klar als solcher gekennzeichneter) Kommentar „Stars gegen den Lockdown: Warum die Aktion ‚Alles dichtmachen‘ eine Verhöhnung der Corona-Toten ist“. Wie das RND schreibt, habe Grimm E-Mails erhalten, in denen er als „verficktes Nazischwein“ oder „Systemkonforme Hure“ oder als „Versagerpussy“, die „das Schlimmste verdient“ beschimpft wurde. Das RND hat, wie es in dem Newsletter vom 30. April heißt, lange darüber diskutiert, diese Beschimpfungen zu veröffentlichen, und sich am Ende dafür entschieden, weil das, „was Journalistinnen und Journalisten tagtäglich an Hass und Gewalt entgegenschlägt“ immer mehr „das Maß des Erträglichen“ überschreite. „Es wäre falsch, darüber hinwegzusehen“.
Auch Lokalredaktionen sind davon betroffen
Leser, die jetzt denken, dass solche Dinge nur bei den großen, überregionalen Medien vorkommen, täuschen sich. Es fängt im „Kleinen“ an, wenn Leser anderer Meinung sind und uns schreiben (wörtlich) „…bevor Sie so einen lächerlichen Bericht verfassen, sollten Sie sich mit der Thematik besser vorher befassen. Der Bericht ist ja ein Zeugnis größter Unkenntnis.“ Und auch uns hat schon solch eine Nachricht erreicht (ohne dass wir wissen, worum es konkret geht; wir vermuten mal um die wöchentliche Kolumne auf Seite 1): „Pfui! Schämen Sie sich für ihren grauenhaften Artikel und benutzen Sie endlich ihr Hirn. Informieren Sie sich, benutzen einen Taschenrechner, sichten Bettenbelegungen und dann entschuldigen Sie sich für die Dummheiten, die Sie von sich lassen! Viel Erfolg beim Recherchieren und Lernen!“ Dies wurde via Facebook-Messenger auf meinen privaten Account geschickt…
Verschwörungstheoretiker erkennen Meinungen nicht an
Oftmals ist das Problem, dass sich einige missverstanden fühlen, offenbar folgendes: Diejenigen, die der Verschwörungstheorie „Lügenpresse“ anhängen, unterscheiden teilweise nicht zwischen einer „Meinung“ und einer „Meldung“. Während eine Kolumne oder ein Kommentar Erstgenanntes sind, wird bei einer Meldung schlicht eine Nachricht weitergegeben. Obendrein mangelt es häufig an der offiziell so genannten Medienkompetenz (wobei Lügenpresse-Gläubige sich allein an dem Wort stören werden, da es anmaßend klingt). Gemeint ist aber dabei „nur“, dass „Medienkompetente“ in der Lage sind, Fakenews ebenso zu erkennen wie seriöse Berichterstattung. In den sozialen Netzwerken wird Seiten und Schreibern gefolgt, die wohlklingende Namen wie „Hallo Meinung“ haben, aber nur die neutrale Berichterstattung verdrehen und überall eine Verschwörung der Lügenpresse (oder auch gern der „GEZ-finanzierten, staatsgesteuerten öffentlich-rechtlichen Medien“) wittern.
Diskussionen erwünscht, Entgleisungen nicht
Dieses Gebahren gilt nicht nur für große, bundesweite Medien, sondern ist inzwischen auch in den Lokalredaktionen angekommen. Denn dort, wo nicht nur über die nächste Ausstellung des Kaninchenzuchtvereins (das soll nicht despektierlich sein) oder das kommende Programm im Theater berichtet, sondern auch mal konstruktiv recherchiert und – im Kommentar oder der Kolumne – offen die Meinung gesagt wird, gibt es automatisch Menschen, die gegenteiliger Ansicht sind oder gegebenenfalls Tatsachen nicht so akzeptieren wollen. Alle Journalisten wünschen sich grundsätzlich Diskussionen und freuen sich, wenn ihre Artikel gelesen und besprochen werden. Aber verbale Grenzen sollten dabei bitte nicht überschritten werden.
Teil III: Die Technik hat sich am meisten gewandelt
(erschienen am 15. August 2021)
Volontäre der „heutigen Zeit“, denen die „Altgedienten“ der Zeitungsredaktion erklären, wie sie früher die aktuellen Ausgaben zusammengebastelt haben, reißen erstaunt die Augen auf. Zu groß war der technische Wandel in den vergangenen Jahrzehnten, als dass die jungen Erwachsenen heute nachvollziehen könnten, dass „Zeitung machen“ bis zum Jahrtausendwechsel noch echte Handarbeit war.
Im Monatsthema „Journalismus im Wandel der Zeit“ soll es aber auch einmal um die technische Entwicklung gehen, die Redakteure durchlaufen haben, die bereits einige Jahrzehnte „im Dienst“ sind. Denn das drückt schließlich auch einen enormen Wandel für den Journalismus (sowie natürlich auch für alle anderen Berufe und Lebensbereiche) aus.
„Früher musste man sein Manuskript einreichen“
Die Akademie der bayerischen Presse zitiert auf ihrer Internetseite grundkurs-online.de den früheren Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung (SZ), Gernot Sitter: „Ich habe heute einen Artikel zu Hause geschrieben und einfach per E-Mail an die Redaktion geschickt. Früher hätte man damit zur Zeitung fahren und das Manuskript abliefern müssen.“ Und in der Tat. Heute genügen ein Internetanschluss und ein E-Mail-Programm, um Redaktionen auf der ganzen Welt mit Fotos und Texten zu versorgen. In sekundenschnelle. Vor Jahrzehnten hingegen war es natürlich viel aufwändiger, Redaktionen mit Material zu füttern und diese am Ende auch in eine gedruckte Zeitung zu „gießen“.
Von Anfang an „up to date“
Zwar hat der HELMSTEDTER SONNTAG von Anbeginn an (am 5. September 1999 erschien die erste Ausgabe) auf Digitalität gesetzt, aber es gab ja auch noch ein Leben „davor“. So wie es Gernot Sitter auf grundkurs-online.de beschreibt, hat es niemand in unseren Reihen mehr erlebt – Sitter ist immerhin Jahrgang 1938 -, aber einiges an Handarbeit fiel dennoch während der Ausbildung und in den ersten Berufsjahren an.
Eher eine „Schreibmaschine mit Monitor“
In der Mitte der 1990er Jahre tippten Redakteure ihre Texte zwar schon in einen Computer ein, allerdings handelte es sich dabei wohl eher um eine Schreibmaschine mit Monitor. Denn Überschriften, Unterzeilen, Kursivsatz und „normaler“ Text mussten mit Druckanweisungen versehen werden. Die gesammelten Werke wurden auf einer Diskette gespeichert und von einem Kurier in den Satz gebracht: Dort wiederum wurde jeder Text einzeln gemäß der beigefügten Druckbefehle ausgedruckt. Am Tag der Drucklegung machte sich die Redaktion auf den Weg zum Satz, schnitt die einzelnen Texte aus, wachste sie und klebte sie im wahrsten Sinne des Wortes auf die einzelnen Seiten. Schriftsetzer, von denen es seinerzeit eine ganze Reihe gab, übernahmen die Feinarbeit. Sie brachten nicht nur alles in die passende Form und fügten die (von den Redakteuren selbst entwickelten und vom Negativ ebenfalls ausgedruckten) Schwarz-Weiß-Fotos hinzu, sondern merzten auch so manchen Tippfehler aus, der sich beim Korrekturlesen auftat. Waren alle 16, 20, 24, 32 oder gar 36 Seiten mit Anzeigen, Texten und Fotos voll belegt, kam erneut ein Kurier ins Spiel, der die Papierseiten in die Druckerei schaffte, wo Druckvorlagen erstellt worden, bevor es dann tatsächlich los ging und die Zeitung produziert wurde. Der Wandel, der sich in rund 25 Jahren vollzogen hat, ist gerade im technischen Bereich erstaunlich – vom Schreiben eines Textes bis hin zum Druck der fertigen Zeitung.
Was früher Stunden dauerte, ist in Minuten erledigt
Dank Computer, Internet und Co. dauert das, was früher viele, viele Stunden Feinstarbeit in Anspruch nahm, heute nur noch Minuten. Das kann jeder nachvollziehen, der schon einmal eine E-Mail versendet hat: Ein Wimpernschlag und eine online übermittelte Nachricht ist beim Empfänger angekommen. Redakteure sind heute Autoren, Fotografen, Schriftsetzer, Korrektoren und Kuriere in einer Person. Sie schreiben nicht nur ihren Text und bebildern ihn mit (meist) selbstgemachten, digitaken Fotos, sie passen diese Texte am Computer auch direkt auf den einzelnen Seiten ein – „Spiegeln“ nennt sich dieser Arbeitsgang – und schicken die einzelnen Seiten via E-Mail oder Online-Server direkt in die Druckerei. Dort wiederum ist lediglich ein Knopfdruck notwendig, damit der Rollenoffset-Druck startet und in kürzester Zeit eine Zeitung mit einer rund 50.000 Expemplare umfassenden Auflage gedruckt ist.
Ganz am Ende ist auch noch heute Handarbeit nötig
Der letzte Schritt allerdings bedeutet dann doch noch einmal Handarbeit. Denn Kuriere bringen die Zeitungspakete zu den Zustellern, die wiederum die Aufgabe haben, das Papierexemplar in die Briefkästen der Leser zu befördern. Natürlich gibt es auch das inzwischen längst digital, aber um mit einem weiteren Zitat Gernot Sitters zum Ende zu kommen: „Es lohnt sich auf jeden Fall, eine Papierzeitung zu kaufen. Die Zeitung können Sie überall mitnehmen, auch wenn man mal kein WLAN hat. Die Papierzeitung ist einfach übersichtlicher und kompakter als die Online-Zeitung.“
Teil IV: Wandel macht vor der Sprache nicht Halt
(erschienen am 22. August 2021)
„Der Sonderfrieden mit Amerika“ titelte die Deutsche Allgemeine Zeitung am Montag, 22. August 1921, in ihrer Abend-Ausgabe. In deutscher Schrift heiß es in dem Aufmacher vor genau 100 Jahren: „Paris, 21. August. Nach der Meldung der ‚New York Herald‘ in Washington soll das Staatsdepartement dem amerikanischen Geschäftsträger in Berlin außerordentliche Vollmachten bezüglich des Friedensvertrages übermittelt haben, die ausreichten um die Angelegenheit endgültig in Ordnung zu bringen. Der Herrn Dresel übermittelte Vertrag behält den Vereinigten Staaten alle Rechte als siegreiche Macht vor, ohne sie in rein europäischen Angelegenheiten, wie Ziehung von Grenzen, zu engagieren. Nach ‚New York Herald‘ ist die notwendige Zweidrittelmehrheit für die Mehrheit für die Ratifizierung im Senat gesichert. Die Unterzeichnung des Friedensvertrages ist, nach Meldungen aus Washington, nur noch eine Frage von Tagen.“
Die Jornalistensprache war eine ganz andere
Mal davon ab, dass sich der Leser fragen mag, wer „Herr Dresel“ ist und Journalisten unter anderem den Kopf schütteln darüber, dass kein Vorname genannt ist, wird sofort deutlich, dass die Sprache, in der vor einem Jahrhundert Zeitungstexte geschrieben wurden, eine völlig andere war als heute. Zum Monatsthema „Journalismus im Wandel der Zeit“ gehört also eindeutig auch der sprachliche Wandel in den Redaktionen Deutschlands hinzu. Gehen wir im Zeitungsarchiv weitere 100 Jahre zurück, wird deutlich, dass die Ausdrucksweise noch einmal eine ganz andere war. Auf der Titelseite des Allgemeinen Anzeiger der Deutschen ging es am 22. August 1821 „kulturell“ zu. In der Rubrik „Literarische Nachrichten“ wurde die „Versteigerung einer sehr bedeutenden Sammlung von botanischen, den Gartenbau betreffenden, forstwirtschaftlichen, naturhis-torischen Büchern und Kunstsachen“ angekündigt. Da der Allgemeine Anzeiger der Deutschen „der öffentlichen Unterhaltung über gemeinnützige Gegenstände aller Art gewidmet, zugleich allgemeines Intelligenz-Blatt zum Behuf der Justiz, der Polizey und der bürgerlichen Gewerbe“ war, ist klar, warum es im Text, den eine Buch- und Kunsthandlung aus Halberstadt in die Zeitung gesetzt hatte, hieß: „Den 17. October d. J. wird hieselbst eine Bibliothek versteigert werden, deren Verzeichniß allein schon einen überaus lehrreichen Ueberblick der botanischen Gesammt-Literatur gewährt und jedem Gebildeten dieses Fachs Trauer und Klage erwecken wird, daß eine solche Sammlung, die mit lebenslänglicher Sorgfalt, bei umsichtigster Kenntniß, auf oft mühseligen Wegen, zusammengebracht ist, zerstreut werden soll.“ Nicht nur die heute „merkwürdig“ scheinende Ausdrucksweise („hieselbst“ etwa ist das veraltete – süddeutsche – Wort für das – heute ebenfalls veraltete – hierselbst), auch die Schreibung einiger Wörter („October“, „Kenntniß“ oder „Verzeichniß“ beispielsweise) fällt natürlich sofort ins Auge. Sprache ist eben ständig im Wandel und das nicht nur durch Rechtschreibreformen. Sie wird durch verschiedene gesellschaftliche Gruppen und seit einigen Jahren auch durch soziale Medien stark geprägt. Neue Begriffe kommen hinzu, „altbackene“ werden nicht mehr verwendet. Natürlich macht dieser Wandel auch vor Journalisten nicht Halt.
Viele neue Wörter in schnelllebigen Zeiten
Allein durch die Corona-Pandemie sind viele neue Wörter alltäglich geworden, die es ohne das Virus womöglich gar nicht gegeben hätte. Egal, ob von Politikern geprägt (wie etwa „Bundesnotbremse“), aus dem Deutschen neu zusammengesetzt („Impfneid“), ans Englische angelehnt („Long Covid“), oder aus Fachsprachen übernommen („Social Distancing“): In den vergangenen anderthalb Jahren sind so viele Begriffe „salonfähig“ geworden wie schon lange nicht. Aber nicht erst Corona hat dazu geführt, dass in vielen Redaktionen Diskussionen entbrannten, wie der künftige Schreibstil aussehen soll.
Gleich nach der Rassimus-Debatte kam das Gendern auf
Das „Problem“ bei Zeitungen ist: „In der Kürze liegt die Würze“. Das bezieht sich nicht nur auf die Texte insgesamt und die einzelnen Sätze, sondern sogar auf einzelne Wörter. In ihrer Ausarbeitung „Dieses unselige Zeitungsdeutsch“ fasste Tina Theobald, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Germanistischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, die sprachliche Komprimierung in Zeitungen 2012 zusammen. Die Notwendigkeit der Komprimierung habe, so heißt es im Aufsatz wörtlich, „zu einem Rückgang der Satzgefüge und einer Zunahme der Einfachsätze, zur Dominanz des Nominalstils, zu einer verstärkten Bildung von Genitivketten, die aber oftmals das Verständnis erschweren, oder zur Zunahme von Funktionsverbgefügen“ geführt. Obendrein war (und ist) es in den meisten Medien Gang und Gebe, ausschließlich die männliche Form zu verwenden. Durch die Streichung der weiblichen Form war schlichtweg Platz gewonnen. Heute allerdings gilt es, rassistische Ausdrucksweisen zu verbannen und alle Menschen gleichzustellen. Die Genderdebatte ist in Deutschland noch eine recht junge, aber viele Redaktionen haben sie bereits aufgegriffen. Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, brachte vor Kurzem zum Ausdruck, warum es heute wichtig ist, sich nicht ausschließlich auf die männliche Form zu beschränken. „Wenn ich weiß, dass bestimmte Begriffe einzelne Personen oder Gruppen verletzen, dann sollte man versuchen, die Dinge anders auszudrücken, aus Respekt“, zitierte das Redaktionsnetzwerk Deutschland Annalena Baerbock zum Thema gendergerechte Sprache vor wenigen Wochen.
Von Sternchen, dem großen I und doppelten Punkten
Gendern ist ein Thema, das nicht nur unter Journalisten für kontroverse Diskussionen sorgt, sondern auch in der Bevölkerung. Während beispielsweise die Grimme-Preisträgerin Caren Miosga die „Tagesthemen“ seit geraumer Zeit gendergerecht moderiert, indem sie die „Zuschauer (Atempause) -innnen“ begrüßt, fällt es anderen journalistischen Bereichen nicht so leicht, das Gendern in den Alltag einzubingen. Die „schreibende Zunft“ tut sich mitunter schwer, die „geschlechtsneutrale“ Sprache zu verwenden, will nicht durch Sternchen oder großgeschriebene I im Wort den Lesefluss stören. Auch der HELMSTEDTER SONNTAG ist in diesem Bereich zugegebenermaßen unsicher. Die Redakteure wurden noch nach der Devise ausgebildet, dass lediglich die männliche Form verwendet werden soll oder darf (also ausschließlich Leser, Bürger, Schüler und ähnliches). Inzwischen hat sich aber so manches Mal schon die weibliche Form „eingeschlichen“… Ein Blick über den Tellerrand zeigt auch, welche verschiedenen Möglichkeiten es geben könnte, zu gendern: Die schöns-te Variante hat vielleicht „Die Zeit“, die doppelte Punkte in den Fokus rückt und ihre Leserïnnen anschreibt, Bürgerïnnen und Wählerïnnen in einem Wort vereint. Vor allem in Onlinetexten wird hingegen gern die Sternchenform verwendet, wenn von Politiker*innen oder Hörer*innen die Rede ist. Auch das große I ist – und das bei einigen schon seit vielen, vielen Jahren – beliebt, wenn es darum geht, alle Leser-Innen unter einen Hut zu bekommen. Ob das „schön“ aussieht, darüber lässt sich trefflich streiten, besonders ausfallend wird in sozialen Netzwerken immer wieder diskutiert. Allerdings gibt es an sich auch eine recht einfache Lösung des „Problems“ (das gar keines sein sollte): Für die meis-ten Wörter könnte eine „geschlechterübergreifende“ Variante gewählt werden. Zum Beispiel könnte viel mehr von „Menschen“ die Rede sein oder etwa auch von „Lesenden“, „Wählenden“ oder „Politiktreibenden“. Wenn es denn gar nicht anders geht, könnten „Bürgerinnen und Bürger“ schlichtweg ausgeschrieben werden, um die bei vielen so unbeliebte „Unterbrechung des Leseflusses“ zu umgehen.
Teil V: Natürlich gibt es sie, die schwarzen Schafe
(erschienen am 29. August 2021)
Ausgehend vom Schweizer Magazin „Reportagen“ veröffentlichten mehrere Medien Ende Juni dieses Jahres ein Interview mit Claas Relotius. Journalisten, die diesen Namen hören, stellen sich sofort die Nackenhaare auf, ob der Unverfrorenheit, mit der Relotius ihren Beruf in Verruf gebracht hatte. Da half dann auch nicht mehr, dass er sich nun im Nachhinein für sein Fehlverhalten versuchte zu entschuldigen. Der frühere Spiegel-Reporter hatte zwischen 2013 und 2018 insgesamt 120 Reportagen veröffentlicht, von denen die meis-ten (teilweise oder ganz) ausgedacht waren. Ende 2018 brachte der Journalist des Jahres 2019, Juan Moreno, dies ans Tageslicht. Seit dem Skandal mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern, die der „Stern“ 1983 veröffentlicht hatte, war dies der größte Journalismusskandal in Deutschland. Die Enthüllung Relotius‘ als Betrüger kam einigen gerade zur rechten Zeit, wurde doch schon vor der Corona-Pandemie von Demonstranten (etwa der AfD oder der Pegida) laut „Lügenpresse“ gerufen. Menschen wie Claas Relotius oder etwa auch RTL-Reporterin Susanna Ohlen, die dabei gefilmt wurde, wie sie sich vor der Fernsehaufnahme mit Matsch einrieb, um zu zeigen, dass sie im Hochwassergebiet angeblich schwer mit angepackt hatte, bringen mit ihren Betrügereien einen ganzen Berufszweig in Verruf. Allerdings sollte natürlich auch beim Journalismus das gelten, was in allen anderen Lebensbereichen angewendet wird: Man sollte nicht alle über einen Kamm scheren. Vergessen wird bei aller Kritik oft, dass es auch positive Beispiele gibt; zum Beispiel die Journalisten des Jahres (2019 war dies Juan Mureno, für 2020 wurde gerade Mai Thi Nguyen-Kim als Journalistin des Jahres ausgezeichnet). Auch Persönlichkeiten wie etwa Hanns Joachim Friedrichs, der zum Ende seiner Karriere noch „Mister Tagesthemen“ wurde, ist vielen Berufskollegen ein echtes Vorbild. Es sollte also nicht aus Relotius‘ (oder Ohlens) Betrug pauschal auf Manipulationen im Journalismus geschlossen werden. Allerdings hat sich der Anspruch der Leser in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt. Viele wollen „Geschichten“ lesen, die sie „riechen, schmecken, sehen, hören und fühlen“ wollen. So beschrieb es die „Hannoversche Allgemeine“ nach dem Relotius-Betrug in einem Artikel. Bei dem, was schon Berufsanfänger lernen, müsse aber eines immer gelten: „Das Beschriebene muss der Wahrheit, mindes-tens der eigenen erfahrenen Wahrnehmung entsprechen“, heißt es in dem Onlineartikel vom Dezember 2018. Das unterscheide Journalismus von Fiktion. Für den Lokaljournalismus, wie er das „Tagesgeschäft“ des HELMSTEDTER SONNTAG ist, gelten zudem ganz andere Regeln, befindet auch die Hannoversche Allgemeine. Die Kollegen in der Landeshauptstadt meinen: „Im Lokaljournalismus ist übrigens die Gemeinschaft in der Heimat oft der beste Korrektor: Jede Ungenauigkeit, jedes verdichtete Zitat, jede unklare Beschreibung fällt auf – weil die Menschen, über die wir berichten, hier leben und es sofort zurückspielen.“ Das kann der HELMSTEDTER SONNTAG nur bestätigen, der sich über (positive wie negative) Rückmeldungen der Leser – nicht nur zum Monatsthema – immer freut, zeigt es doch, dass unsere Zeitung gelesen und über die Themen diskutiert wird… Auch zum Monatsthema im August gab es wieder zahlreiche Zuschriften. So schrieb Karl-Heinz Schmidt aus Helmstedt beispielsweise: „Schützen wir die Freiheit der internationalen Presse und die körperliche Unversehrtheit von Journalistinnen und Journalisten.“ Und Dieter Blumtritt aus Helmstedt vertritt die Auffassung, dass Beleidigungen gegen Journalisten zwar unakzeptabel seien, auf der anderen Seite aber nicht zu viele Krokodilstränen fließen sollten, „wenn man sich als Teil der Mainstreampresse zu einseitig positioniert.“ In einem zweiten Leserbrief schreibt Blumtrittt zudem: „Die ‚Hofberichterstattung‘ nimmt zu, ebenso wie die Rücksichtnahme auf Großinserenten sowohl im privaten, wie auch im Bereich der öffentlichen Hand. Bedenkt man ferner, dass sich laut einer Umfrage über 80 Prozent der Medienschaffenden zum linksgrünen Spektrum bekennen, gerät man hinsichtlich einer objektiven Berichterstattung weiterhin ins Grübeln.“
Katja Weber-Diedrich, geboren 1976 in Helmstedt, ist seit fast 30 Jahren Lokaljournalistin durch und durch. Der Legende nach tippte die ehrenamtlich Engagierte vor 25 Jahren den ersten HELMSTEDTER SONNTAG an einer Bierzeltgarnitur. Sowohl die Tiefen der deutschen Grammatik als auch die Wirren der Helmstedter Politik sind der Chefredakteurin nicht fremd; ihr Markenzeichen sind ehrliche Kommentare und Hartnäckigkeit.