von Nico Jäkel

Teil I: Monatsthema Januar: Wie steht es um die Pflege? – Ein vergleichsweise junges Berufsbild, das zu einem tragenden Pfeiler für unsere Gesellschaft geworden ist

(erschienen am 2. Januar 2022)

Was haben wir alle applaudiert, in den vergangenen zwei Jahren. Öffentlich unseren Dank bekundet. Doch an wen hat sich das eigentlich ganz konkret gerichtet, was verbirgt sich hinter der Bezeichnung „Pflegekräfte“ und haben wir etwas bewirkt?

Diesen und vielen weiteren Fragen wird sich das Monatsthema im HELMSTEDTER SONNTAG für den Monat Januar widmen. „Wie steht es um die Pflege?“ Das ist die zentrale Frage, die beantwortet werden soll. Und um das Fazit vorweg zu nehmen: Es kommt viel „Arbeit“ auf uns zu in den kommenden Jahren. Vor allem aber auf die Politik, die einige Weichen für die Zukunft stellen muss.

Was genau ist „Pflege“ eigentlich im engeren Sinne?

Um in das Thema einzusteigen, ist es gut, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was eigentlich alles unter den Begriff „Pflegekraft“ fällt. Der aktuelle rechtliche Rahmen für die Ausbildung von „Pflegefachkräften“ sieht eine Generalisierung von drei verschiedenen Berufen vor: die Kinderkrankenpflege, die Krankenpflege und die Altenpflege. Die Kindertagespflege, auch wenn sie das Wort „Pflege“ enthält, fällt nicht ganz in diesen Bereich, ist gemeinsam mit Erziehern aber in einem ähnlichen Rahmen zu sehen. Kurzum: es geht um Menschen, die sich um andere Menschen kümmern. Als Berufsbild ist die Pflege noch recht jung. Der Bereich der Krankenpflege wurde – vor etwas mehr als 150 Jahren – als erster professionalisiert. Die Altenpflege wiederum war bis in die 1960er Jahre bestenfalls ein Nebenaspekt der Krankenpflege und fand erst in den vergangenen 50 Jahren einen immer wichtiger werdenden Platz in der Berufswelt. Notwendig wurde eine professionelle Altenpflege vor allem aufgrund der sich wandelnden Demografie und der Lebenssitationen der Menschen. Das zunehmende Lebensalter der Menschen seit Beginn der Industrialisierung und andere Wohnformen sorgten dafür, dass alte Menschen seltener in den eigenen vier Wänden von den Angehörigen bis zu ihrem Lebensende begleitet werden konnten. Heute ist das Bild der mehrere Generationen umfassenden Großfamilie praktisch zur Ausnahme geworden, die Bedarfssituation hat sich umgekehrt.

Mangel an Fachkräften ist groß wie lange nicht

In praktisch allen Medien ist zurzeit von einem Fachkräftemangel im Pflegebereich zu hören und zu lesen. Allein in der Krankenpflege fehlten demnach über 22.000 ausgebildete Fachkräfte. Zusammen mit den Pflegefachkräften im Schwerpunkt Altenpflege und assistierenden sowie Hilfskräften bilanzieren verschiedene Quellen den Mangel in diesem Sektor auf insgesamt 90.000 bis 120.000 offene Stellen, mit der mahnenden Voraussage, dass sich die Situation in den kommenden Jahren dras-tisch verschärfen werde. Die Faktoren dafür sind vielfältig, zum Einen sind Ausbildung und Beruf fordernd, zum Anderen ist die Arbeitsbelastung durch die bereits fehlenden Stellen für die Verbleibenden in der Branche erhöht. Eine seit Jahren geforderte Verbesserung der finanziellen Ausstattung verläuft ebenso eher schleppend. Das aktuelle Signal an die Politik lautet, eine Verbesserung auf vielen Ebenen muss her – und zwar mit hoher Priorität. Die Krankenhäuser wiederum, Hauptarbeitgeber für Krankenpfleger, stehen selbst vor großen Herausforderungen. Die finanzielle Situation von Kliniken sei, so aktuelle Meldungen, so schlecht wie seit 20 Jahren nicht mehr. Dies war die Zeit, in der sich viele Kommunen und Landkreise dazu entschlossen, ihre zuvor staatlich betriebenen Kliniken zu privatisieren.


 

Teil II: Herausforderung: Nachwuchssorgen und Fachkräftemangel – Das Monatsthema Januar „Wie steht es um die Pflege?“ beleuchtet die sich zuspitzende Situation einer Branche, die eine ganze Gesellschaft betrifft

(erschienen am 9. Januar 2022)

Dass in der Pflege – sowohl der Kranken- als auch der Altenpflege – Personalnot herrscht, ist nichts Neues. Oberflächlich werden als Gründe häufig schlechte Arbeitsbedingungen durch unangemessene Personalschlüssel (also viel Arbeit für wenig Personal) und noch viel häufiger schlechte Bezahlung angegeben.  Sicherlich sind diese Behauptungen nicht völlig von der Hand zu weisen. Der eigentliche Grund für den so genannten „Pflegenotstand“ ist allerdings an anderer Stelle zu suchen. Wie es dazu kommt, beleuchtet das Monatsthema des HELMSTEDTER SONNTAG im Januar. „Wie steht  es um die Pflege?“ ist die Kernfrage, bei der der Aspekt des Fachkräftemangels an dieser Stelle betrachtet werden soll.

Zu wenig Personal für zu viele Patienten

Wenn von der Personalnot in Pflegeeinrichtungen gesprochen wird, liegt zunächst meist die Annahme nahe, dass dies darin begründet liegt, dass Menschen,  die den Beruf ausüben, diesen – aus welchen Gründen auch immer – verlassen oder der Beruf zu unattraktiv ist, um genügend  Nachwuchs zu gewinnen. Dabei wird allerdings der wichtigste Faktor außer Acht gelassen: die Nachfrage. In der Realität ist es nämlich so, dass die Anzahl an Beschäftigten im Pflegebereich seit Jahren vergleichsweise konstant wächst. Bundesweit im fünfstelligen Bereich. Dennoch gehen Schätzungen, wie die vom Ärzteblatt, davon aus, dass in zehn Jahren rund eine halbe Million Pflegekräfte fehlen werden, um die anstehenden Arbeiten zu bewältigen. Eine drastische Unterversorgung droht, für Krankenhäuser bedeutet eine Unterschreitung des Minimal-Personalschlüssels in der Regel Aufnahmestopp. Die medizinische Versorgung wäre in diesem Fall in Gefahr. Andere, weniger pessimistische Schätzungen beziffern die fehlenden Fachkräfte auf rund 250.000 bis 300.000 im Jahr 2030, wobei davon etwa zwei Drittel auf den Altenpflege-Sektor entfallen würden. Letzterer ist schlussendlich auch Schlüssel zur Erkenntnis, warum so viele Pflegekräfte fehlen: der Bedarf wächst aufgrund der Nachfrage. Durch den Wandel der Demographie, zum Beispiel veranschaulicht im jüngsten Pflegereport der Barmer, ist davon auszugehen, dass im Jahr 2030 bis zu sechs Millionen Menschen pflegebedürftig sein könnten. Dabei geht die Schere zwischen denen, die im Pflegebereich arbeiten und denen, die Pflege benötigen, weit auseinander.

Die Politik ist gefordert, und zwar auf allen Ebenen

Wie eingangs erwähnt, ist die Problematik an sich nicht neu. Viele der bisher ausgespielten Karten erwiesen sich allerdings als nicht praktikabel. „Als ich 1970 kurz vor meinem Examen als Auszubildender für den Pflegeberuf als Gast zu einer SPD-Veranstaltung in Gifhorn eingeladen wurde, da war damals das Thema der Veranstaltung ‚Pflegenotstand‘. Und was hat sich seit der Zeit für den Pflegeberuf verbessert?“, fragt zum Beispiel Leser Otto Netz. Die Einführung der Fallpauschalen zum Beispiel hätten lediglich dazu beigetragen, Privatisierungen attraktiv zu machen und damit einhergehend, die individuelle Arbeitsbelastung für das Pflegepersonal erhöht. „Wenn Pflegekräfte wegen Personalmangel das Erlernte nicht am Patienten umsetzen können, dann spielt das Gewissen irgendwann nicht mehr mit und sie steigen – wenn es denn möglich ist – wieder aus dem Beruf aus“, zieht Otto Netz sein Fazit. Doch ein besserer Personalschlüssel allein, den die Politik ja bereits umgesetzt habe, sei nicht der Weisheit letzter Schluss, folgert indessen Leser Björn Jüppner. „Jede Pflegeeinrichtung kann zusätzliches Personal über den verhandelten Personalschlüssel einstellen, die von der Pflegekasse refinanziert werden. Das Problem ist, dass es kaum Möglichkeiten gibt, dieses Personal zu finden und einzustellen. Ein verbesserter Personalschlüssel ist im Prinzip der zweite Schritt vor dem ersten“, so Jüppner, der die größte Hürde im Zugang zum Beruf selbst sieht. Problemstellungen wie Schulgeld, also Geld, das an einer vollschulischen Ausbildung Interessierte „mitbringen“ mussten, ist praktisch passé. Aber eben nicht in allen Bereichen. Möchte jemand zum Beispiel den vergleichsweise kurzen Weg gehen und als „Betreuungskraft“ ausgebildet werden, um zum Beispiel unterstützend in einem Pflegeheim zu arbeiten, kommen je nach Bildungsträger zwischen 600 und 1.200 Euro dafür zusammen. Auf die konkreten Problematiken im Rahmen der Ausbildung soll aber in den kommenden Ausgaben noch intensiver eingegangen werden. Eine ganz andere Herausforderung könnte auch die viel diskutierte Impfpflicht für in der Pflege Arbeitende bedeuten. In Frankreich, wo eine Impfpflicht im Gesundheitswesen bereits umgesetzt wurde, ging dem Gesundheitssektor damit Landesweit eine mindestens vierstellige Zahl an Mitarbeitern verloren. Wie sich dies in Deutschland auswirken würde, scheint allerdings schwer abzuschätzen zu sein. Konkrete Zahlen liegen dazu noch nicht vor. 


 

Teil III: Aus drei mach eins: die „neue“ Pflegefachkraft – Das Monatsthema Januar „Wie steht es um die Pflege?“ widmet sich der beruflichen Perspektive im Bereich Pflege

(erschienen am 16. Januar 2022)

Im ersten Teil des Monatsthemas Januar, wie auch in der vergangenen Ausgabe des HELMSTEDTER SONNTAG, ist es schon am Rande angeklungen. Im Bezug auf die Ausbildung für die Pflege hat sich in den vergangenen Jahren einiges gewandelt, insbesondere das Jahr 2020 war prägend, denn seitdem greift die neue, generalisierte Pflegeausbildung. Das bedeutet, dass die drei bislang unterschiedlichen Ausbildungen in der Kinderkrankenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege und Altenpflege zukünftig in einer Ausbildung zur „Pflegefachkraft“ zusammengefasst werden. Doch das war keinesfalls alles an Neuerungen. Auch bei den daran anknüpfenden Berufsbildern hat sich einiges getan. Die neuen Ausbildungsformen, beziehungsweise Änderungen daran, bringen einige Vorteile mit sich, aber zeigen auch neue Hürden auf.

Viele Möglichkeiten für den Einstieg in den Beruf

Wie es so häufig heißt, führen viele Wege nach Rom oder, bezogen auf das Thema, zum Pflegeberuf. Zunächst einmal muss aber unterschieden werden, nach Qualifikationen. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dass zum Beispiel Quereinsteiger oder Menschen ohne entsprechende Berufserfahrung Hilfstätigkeiten ausüben. Diese Tätigkeiten entlasten das Pflegepersonal natürlich auch insgesamt, sind aber zumeist eher nicht so gut bezahlt oder nur mit sehr geringen Stundenanteilen verbunden. Die, zumindest was den Zeitaufwand angeht, -niedrigschwelligste Möglichkeit der Qualifikation ist eine Fortbildung zur „Betreuungskraft nach den Paragrafen 43b und 53b des SGB XI“. Diese „Ausbildung“ beinhaltet neben einem kurzen Praktikum die Grundzüge von Hygiene, sozialem Umgang und Pflege von Menschen. Je nach Bildungsträger dauert diese Ausbildung zwischen drei (Vollzeit) und zwölf (Teilzeit) Monaten. Betreuungskräfte werden für Menschen eingesetzt, die einen zusätzlichen Betreuungsbedarf haben, sowohl als Alltagsbegleitung als auch in stationären Einrichtungen, zur „Aktivierung“ und unterstützenden Pflege der Menschen.

Ein, zwei oder drei Jahre?

Für die qualifizierten Ausbildungen gibt es wiederum auch verschiedene Wege. Diese teilen sich in die Berufe „Pflegeassis-tent“ und „Pflegefachraft“ auf. Wie sich aus den Namen schon ableitet, ist die niedrigere Qualifikation der Pflegeassistent, was natürlich nicht bedeutet, dass diese weniger benötigt würden. Die Regelausbildung dazu dauert zwei Jahre und ist in der Regel eine vollschulische Ausbildung mit geringerem Praxisanteil. Eine Besonderheit in Niedersachsen ist, das seit dem 1. August 2021 eine neue Einstiegsmöglichkeit in den Bereich der Pflegeassistenz für Quereinsteiger, auch solche mit nur ehrenamtlicher Vorerfahrung, geschaffen wurde. Dadurch können zum Beispiel Pflege-Hilfskräfte mit einjähriger Berufserfahrung, Absolventen des Freiwilligen Sozialen Jahres oder Quereinsteiger aus anderen Berufen mit mehrjähriger Berufserfahrung die Ausbildung zur Pflegeassistenz auf ein Jahr verkürzen. Die Ausbildung zur Pflegefachkraft wiederum ist eine klassische dreijährige duale Ausbildung. Darin enthalten ist nicht nur ein hoher Praxisanteil, Schule und Praxis finden jeweils in Form von mehrwöchigen -Blöcken statt, sondern auch wechselnde Praxistätigkeiten. Dies ist eine Besonderheit, die mit der Generalisierung einher ging. Im Rahmen der Ausbildung werden alle drei vorherigen Berufsbilder mit einem entsprechenden Praxisteil abgebildet. Das ist auch der Hauptgrund dafür, warum eine Weiterqualifikation von der Pflegeassistenz zur Pflegefachkraft „nur“ eine Verkürzung auf zwei Jahre bedeutet: Der Praxisteil würde sonst zu kurz kommen.

Recht hohe Hürden

Ob ein Beruf in der Pflege etwas für einen selbst ist oder nicht, lässt sich schwer vorher sagen. Vor allem bei Menschen ohne jede Berufserfahrung ist eine Entscheidung, so denn auch im häuslichen Umfeld keine Erfahrung mit pflegender Tätigkeit besteht, ein bisschen der „Schuss ins Blaue“ und sicherlich auch ein Grund dafür, dass etwa 25 Prozent derjenigen, die eine Ausbildung zur Pflegefachkraft beginnen, diese abbrechen. Nach etwa zwei Berufsjahren entscheiden sich noch einmal etwa 25 Prozent, den Beruf doch wieder zu wechseln. Im Bezug auf die Ausbildung liegt dies an den nicht ganz geringen Hürden, die auf potenzielle Bewerber zukommen. Vergleichsweise leicht zu erfüllen sind die Zugangsvoraussetzungen: Ein Realschulabschluss (auch ein Hauptschulabschluss und eine bestandene Ausbildung) sowie ein „sauberes“ Führungszeugnis genügen in aller Regel, um einen Platz zu finden. Die Inhalte der Ausbildung allerdings haben es in sich. Eine Auszubildende, die aktuell in der Mitte des zweiten Lehrjahres ist, beschreibt es so: „Es ist ein bisschen so wie ein kleines Medizinstudium. Ich will in die Altenpflege, muss aber trotzdem alles wissen, was ich brauche, wenn ich im Krankenhaus arbeiten würde. Die menschliche Physiologie ebenso wie das Erkennen bestimmter Krankheitsbilder und noch mehr. Klar hilft mir das auch bei der Pflege älterer Menschen, aber so intensiv habe ich das nicht erwartet. Das ist echt viel Büffeln.“ Auf der anderen Seite lernen Menschen, die zum Beispiel in die Kinderkrankenpflege einsteigen wollen, natürlich auch spezifische Aspekte der Altenpflege kennen, die sie im Berufsalltag nie brauchen werden. Der Vorteil einer universell einsetzbaren Pflegekraft setzt die Latte innerhalb der Ausbildung hoch. Dazu kommen weitere Detail-Anforderungen, die es in sich haben. So darf zum Beispiel eine – auch krankheitsbedingte – Fehlzeit von mehr als zehn Prozent der Theorie- und Praxisstunden nicht überschritten werden.


 

Teil IV: „Es gehört eine große Portion Nächstenliebe dazu“ –  Das Monatsthema Januar „Wie steht es um die Pflege?“ lässt Beschäftigte aus der Pflege zu Wort kommen, die schildern, was sie an ihrem Beruf lieben und was nicht

(erschienen am 23. Januar 2022)

„Ich will diesen Beruf erlernen, weil ich gerne Menschen helfe“, war ein ebenso oft gesagter Satz wie „Ich habe zuhause bei der Pflege von Verwandten schon mitgeholfen und das war eine Erfahrung, die mich bewegt hat, das beruflich machen zu wollen“, als die neuen Pflege-Azubis des aktuellen Ausbildungsjahrgangs  dazu befragt wurden, warum sie diesen Beruf ergreifen wollten. Doch wie sehen diese Motivationen und die damit verbundenen Ziele später in der Praxis aus? Was empfinden Mitarbeiter in der Pflege als gut und was als eher nicht so optimal an ihrem Beruf? Diesen Fragen widmet sich das Monatsthema Januar im HELMSTEDTER SONNTAG. Andreas Jüppner, seit 2014 Heimleiter des Hauses Wartburg in Lehre, hat eine lange Laufbahn im Bereich Pflege hinter sich. „Ich habe in der Pflege alle möglichen Stationen durchlaufen, über Zivildienst, Praktikum, Ausbildung zum Altenpfleger, Wohnbereichsleitung, Pflegedienstleitung…“, zählt Jüppner auf. Er sieht natürlich die Entwicklung des Fachkräftemangels und die damit steigende individuelle Arbeitsbelastung, mahnt aber „so lange ‚wir‘ Pflegekräfte negativ über unseren eigenen Beruf sprechen und nur jammern, wie schlecht alles ist, werden wir kaum andere Menschen damit ansprechen und motivieren, in die Pflege zu kommen.“

Häufig fehlt die Anerkennung

 Doch was genau meint Jüppner damit? Das wird aus einer Beschreibung aus dem Arbeitsalltag von Sabine F. (Name von der Redaktion geändert) deutlich: „Wenn ich anderen Leuten von meinem Job erzähle und was ich da täglich mache, denken die oft, ich erzähle von einer Woche. Dabei rede ich von einem Tag. Ja, es ist viel zu tun und das sind oft auch keine ganz leichten Arbeiten. Aber man arbeitet ganz selten ganz allein, hat eigentlich immer Kolleginnen um sich und man hilft sich gegenseitig. Anders geht das aber auch gar nicht.“

Doch wie beeinflusst das hohe Arbeitsaufkommen die Sichtweise, mit der viele Menschen in diesen Beruf gestartet sind? Sabine F. sagt: „Wir arbeiten in der Krankenpflege mit Menschen. Wenn wir immer sagen, Gesundheit ist das höchste gut, dann muss es da auch eine gewisse Wertschätzung dafür geben. Damit meine ich gar nicht einmal die Entlohnung, sondern einerseits solche Dinge, wie ‚Ankündigungen‘ und ‚Versprechungen‘, die sich im Nachhinein als Luft auflösen. Andererseits ist das aber auch im Alltag zu spüren bei den Menschen mit denen man arbeitet. Die merken es natürlich auch, wenn wir gestresst sind und ihnen nicht mit viel Ruhe und Aufmerksamkeit begegnen, sondern eben ‚nur‘ die ganz wichtigen Dinge erledigen. Da bekommt man anstatt einem Dankeschön dann halt auch öfter mal etwas eher Negatives gesagt. Aus der Perspektive der Menschen ist das vielleicht sogar berechtigt, aber die sehen halt nicht den Hintergrund dazu. Das zermürbt einen an manchen Tagen ein bisschen. Das nächste Lob macht das aber mitunter direkt wieder gut“, ergänzt Sabine F..

Menschliche Erlebnisse

Auszubildende Mareike K. (Name von der Redaktion geändert), zieht nach anderthalb Jahren über das bisher Erlebte Bilanz: „Ich bin nach wie vor total glücklich in diesem Beruf. Ich arbeite in der ambulanten Pflege, wuss-te vorher nicht so richtig, was mich dabei erwartet, aber das, was ich täglich erlebe, ist einfach schön für mich. Ich habe aber auch das Glück, dass ich mir oft Zeit nehmen kann. Das ist, wie man von seinen Mitschülern hört, nicht bei allen so. Für viele Patienten die ich besuche, ist es gar nicht so sehr die Arbeit, die ich mache. Die ist irgendwie eher das notwendige Übel. Das, wofür es praktisch immer ein Dankeschön gibt, ist das persönliche Gespräch. Die einfache Unterhaltung, das menschliche Miteinander. Ich hatte nie eine Oma, jetzt habe ich sieben“, scherzt Mareike K.. Genau das allerdings bereitet ihr auch etwas Sorge. „Ich hatte bisher auch Glück. Ich arbeite ja mit Menschen im hohen Alter. Da gehört es zum Beruf dazu, dass ich mich irgendwann auch mal von diesen Menschen verabschieden muss. Dann glaube ich schon, dass eine freundschaftliche Beziehung auch sehr schmerzhaft enden kann und mich das vielleicht auch stark belastet. Einige meiner Mitschüler mussten diese Erfahrung schon machen. Manche hat das mitgenommen, andere haben das locker weggesteckt. Ich weiß nicht, wie es mir dabei gehen wird“, gibt die Auszubildende zu bedenken.


 

Teil V: Was leistet der Pflegeberuf für uns und die Gesellschaft? – Mit dem Monatsthema Januar „Wie steht es um die Pflege?“ wird abschließend auch ein Blick auf zukünftige Perspektiven geworfen

(erschienen am 30. Januar 2022)

Einigkeit, bezogen auf unsere moderne westliche Gesellschaft, besteht im Bezug auf die Pflege von kranken sowie auch alten Menschen wohl darin, dass diese unverzichtbar ist. Der eher freie Reim „Ohne Pflege, das ist klar, stünden wir alle sehr dumm da“, beschreibt es trotz seiner Banalität recht gut. Ohne dass jemand da ist, der sich um die kümmert, die die Fürsorge benötigen, funktioniert es nicht. Und genau genommen hat es auch noch nie so funktioniert. In früheren Zeiten war lediglich die „Zuständigkeit“ eine andere. Viele pflegerische Tätigkeiten fanden nämlich im (groß-)familiären Umfeld statt. Die Professionalisierung, wie wir sie heute kennen, ist noch recht jung.

Damit wir „fit“ bleiben oder es wieder werden können

Gemeint damit ist natürlich nicht „sportliche“ Fitness, sondern unser allgemeiner körperlicher  wie auch psychischer Zustand. Das passiert in drei großen Bereichen: der Altenpflege, der Krankenpflege und der Kinderkrankenpflege. Von außen betrachtet sind diejenigen, die für uns selbst oder unsere Angehörigen in entsprechenden Situationen da sind, nicht nur schlichte „Arbeiter“, sondern eher Kümmerer. Denn sie kümmern sich um fast alles. Von der Unterstützung bei der Bewältigung von Dingen, die sonst vielleicht alltäglich waren, aber aufgrund einer aktuellen Einschränkung einfach riesige Hindernisse darstellen, bis hin zu zwischenmenschlichen Bereichen, wie einem direkten Gespräch. Pflegekräfte sind eben nicht nur „Bettenmacher“, „Anziehhilfen“, „Rollstuhlschieber“, sondern vielmehr ein Ersatz, für viele Dinge, die zuvor die eigene Familie übernommen hat – eine Hilfe in praktisch allen Lebenslagen. Wie groß in seiner Wirkung alleine die Anwesenheit eines anderen, zumindest etwas vertrauten Menschen, sein kann, haben wir alle in den vergangenen zwei Jahren auf eine gewisse Art und Weise erleben müssen. So lässt sich zumindest erahnen, wie wichtig es auch für die seelische Gesundheit ist, einen Ansprechpartner zu haben.

Fachwissen gehört dazu

Doch Pflege ist eben noch mehr  als all das Vorgenannte. Egal in welchem Bereich der Pflege, es geht immer auch um medizinische Aspekte. Und zwar letztlich in der direkten Arbeit mit den Menschen. Bruno Krieger, der über Jahrzehnte im AWO-Psychiatriezentrum (APZ), beziehungsweise zuvor im Niedersächsischen Landeskrankenhaus im Bereich psychiatrischer Pflege gearbeitet hat, sagt ganz klar: „Man braucht die Menschen, die am Bett, am Patienten, am Menschen arbeiten.“ Es sei gut, dass man den Mitarbeitern in den vergangenen Jahren viel wichtiges Handwerkszeug in der Ausbildung mitgegeben habe, allerdings hoffe er, dass der Beruf nicht auf allen Ebenen irgendwann „zu verkopft“ werde. „Wir brauchen diejenigen, die praktisch arbeiten, mit Empathie für den Menschen, um den sie sich kümmern.“

Günther Storck, Dozent für die Fachweiterbildung psychiatrische Pflege am APZ, präzisiert das von Krieger Gesagte: „Eine Akademisierung der Pflege ist insbesondere im Bereich der psychiatrischen Pflege zu begrüßen. Denn mehr Wissen eröffnet jeweils auch einen größeren Handlungsspielraum.“ So bekomme das Pflegepersonal zwar von ärztlicher Seite Diagnosen an die Hand, die effektive Umsetzung der dazugehörigen Handlungsempfehlung  passiere dann aber eben durch die Pflegekräfte. Und noch mehr: „Durch fortlaufende Gespräche im Dialog mit dem Patienten und durch Beobachtung trägt die Pflege maßgeblich dazu bei, das Bild einer Diagnose zu verschärfen.“ Gerade dieser Hintergrund wurde seit Beginn der 2000er-Jahre auch in der Ausbildung verstärkt berücksichtigt. Dies mache sich auch schon im Rahmen der Ausbildung bemerkbar, wie Leserin Jasmin Pfeiffer bemerkte: „Ich finde diese neue Ausbildung (gemeint ist die generalisierte Pflegeausbildung, Anmerkung der Redaktion) gerade für die Altenpflege super, da es dort oft an diesem speziellen Fachwissen fehlt. Sprich spezielle Krankheitsbilder, Wechsel eines Dauerkatheters…“

Damit wird deutlich: Die Pflege durch Fachpersonal ist noch einmal deutlich mehr, als nur „Kümmerer“ und „Ansprechpartner“ sein. Sie ersetzt keinen Arzt, aber sie unterstützt selbigen.

Arbeit für den Menschen

So umfangreich wie das Aufgabenspektrum sich letztlich darstellt, ist es in der Praxis auch. Im Detail sogar noch deutlich größer, da auch in der Pflege „Bürokratie“ zum Beispiel in Form von Dokumentation dazu gehört. Und was mindestens ebenso wichtig ist: Die Pflege hat den Anspruch an sich selbst, immer da zu sein. Lösbar ist das alles nur durch eine gute Aufgabenverteilung und dadurch, dass es für praktisch jede Qualifikationsstufe von der Hilfs- bis zur Fachkraft einen praktischen und wichtigen Einsatzbereich gibt. Im Idealfall überschneiden und ergänzen diese sich, damit für den zu pflegenden Menschen optimal gesorgt und parallel das Personal nicht überlastet ist. Auch wenn die neue generalisierte Pflegeausbildung nun einiges zusammen legt, wird an anderer Stelle entzerrt. Wie in den vergangenen Teilen des Monatsthemas aufgezeigt, sind die Möglichkeiten und unterschiedlichen Qualifikationen in diesem Bereich sehr breit verteilt.

Perspektiven für die Pflege

Um das Spektrum dessen, was möglich ist, weiter zu -entwickeln, sowohl für denjenigen, der Pflege benötigt, als auch für denjenigen, der in diesem Bereich arbeitet, gibt es eine Vielzahl von Initiativen. Einerseits versucht die Politik neue Wege zu eröffnen (wie zum Beispiel in Niedersachsen die verkürzte Ausbildungsmöglichkeit zum Pflegeassistenten), auf der anderen Seite stehen die Berufsverbände und bringen ihrerseits neue Perspektiven in die Zukunftsdebatte der Branche. Ganz konkret beleuchtet wird die Ist-Situation zum Beispiel auch im Rahmen der „Gesundheits-Region“ des Landkreises Helmstedt, ebenfalls mit dem Ziel, daraus Handlungsmöglichkeiten abzuleiten. So viele Chancen die Digitalisierung in anderen Branchen hingegen auch bringt, in der Pflege steht sie noch ganz am Anfang. Die Arbeit „am Bett“ kann der Computer nämlich auch auf absehbare Zeit noch nicht übernehmen. Wer sich für eine Tätigkeit in der Pflege interessiert, sich den Herausforderungen stellen möchte, ist bei praktisch jedem Betrieb in dieser Branche willkommen.

 

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Nico Jäkel, geboren 1981 in Helmstedt, ist ausgebildeter Redakteur, selbstständiger Fotograf und ein leidenschaftlicher Hobbykoch mit einer gigantischen Sammlung an Kochbüchern. Seine Markenzeichen sind verschachtelte Sätze. Zusätzlich zu seinem Faible für Produkttestungen, engagiert sich der Lokalpatriot in seiner Heimatstadt Schöningen.