Spannend, das Thema „Glauben und Wissen“, „Religion(en)“ und „Kirche“ in einigen Beiträgen zu behandeln. Das ist sicher mutig, weil man sich damit auf ein weites Feld unterschiedlicher Begriffe und Meinungen begibt. Um ein wenig Klarheit in das Wirrwarr zu bringen, ist eine Begriffsklärung hilfreich. Ich notiere einige Gedankensplitter, die für mich wichtig sind. Sie verkünden keine „ewigen Wahrheiten“. Sie haben ihre Aufgabe erfüllt, wenn sie anregen, die eigene Überzeugung zu schärfen.

Erstens: Zur Beschreibung der religiösen Einstellungen und Praxis hat sich bewährt, zwischen „Kirchlichkeit“ und „Christlichkeit“ und „Religiosität“ zu differenzieren.

Wer „kirchlich ist“, nimmt häufiger an kirchlichen Veranstaltungen teil und und stimmt häufiger Aussagen zu, die (seiner Meinung nach) die Kirche vertritt. Für empirische Untersuchungen kann man das genau quantifizieren und wird dann feststellen, dass in unserem Land die Zahl der „kirchlich Verbundenen“ wohl im einstelligen Bereich liegt.

Fragt man nach der „Christlichkeit“, sagen mehr Menschen (durchaus auch solche, die keiner Kirche angehören), dass sie im Sinne des „Liebesgebots“, der „Bergpredigt“ oder des Vorbildes Jesu, „christlich“ seien.

Manche Menschen sagen, sie seien „religiös“, würden aber feste Glaubenssysteme und Religionen ablehnen. Sie haben einen weiten Religionsbegriff, wie er beispielsweise in den mystischen Strömungen aller Religionen vorhanden ist. “Religiös“ wäre dann jemand, der von sich sagt,

er sei vom „Heiligen“ (was immer das im einzelnen sein mag) in der „Tiefe der Existenz“ angerührt.

Zweitens: Wir diskutieren – häufig mit mehr Erregung als notwendiger Differenzierung – in der Weise, dass wir die Religionen vergleichen. Wir bewerten sie nach Kriterien wie „vernunftgemäß“ oder „human“ oder „militant“. Bei manchen gilt der Islam grundsätzlich als „fundamentalistisch“ und „militant“, das Judentum als „gesetzlich“, das Christentum als Religion der „Liebe“. Die platte Einteilung erleichtert sicher die schnelle Orientierung, wird aber einer vielfältigen Wirklichkeit nicht gerecht. Mir hat sehr eingeleuchtet, dass manche Religionssoziologen schon vor Jahrzehnten eine andere Einteilung vorgenommen haben.

Drittens: Danach gibt es in jeder Religion „fundamentalistische“ Strömungen, weil es Menschen gibt, die ein starres Überzeugungssystem, das unbedingt gelten soll, brauchen. Das gibt Menschen, die Sicherheit wollen, einen festen Halt. Solche dogmatischen Strukturen gibt es übrigens auch in politischen und weltanschaulichen Systemen: „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“ oder „Die Reihen fest geschlossen“.

Als Gegenpol gibt es in allen Religionen mystische Strömungen – Menschen, die das „Heilige“ als tiefsten Grund ihres Lebens annehmen. „Gott“ ist dann nicht im „Himmel“, sondern in der „Tiefe“ ihrer Existenz oder des „Seins“. Manche Mystiker sind „fromm“, ohne Gott als personales Gegenüber zu sehen.

In allen Religionen gibt es auch Menschen, die in ihrer Religion den Impuls für soziale Verantwortung wahrnehmen. Sie treten für Solidarität, Verständigung und Frieden ein. Als Beispiel nenne ich nur die Gebote im Alten Testament, Flüchtlingen zu helfen, die sozialen Verpflichtungen der Muslime, die buddhistische Meditation der liebevollen Anteilnahme oder das christliche Liebesgebot.

Diese Einteilung, die natürlich wesentlich differenzierter gefasst sein müsste, spiegelt die Wirklichkeit besser wider. Die Aneignung oder Ablehnung einer religiösen Überzeugung geschieht im Rahmen der Persönlichkeitsstruktur eines Menschen. Wer „fundamentalistisch“ ist, ist es als Person – ob er nun Christ oder Atheist ist. Wer solidarisch lebt, wird das als Muslim, Buddhist oder Atheist tun. (Ich weiß, ich weiß – hier tut sich ein weiteres weites Feld auf, auf dem sich neue Fragen ergeben).

Viertens: Ein uraltes Thema ist die Frage von „Glaube und Wissen“. Hier schießt der Verfasser des des Artikels allerdings einen kapitalen Bock. Als „Glaube“ definiert er eine „Grundhaltung des Vertrauens in die Lehre einer Religion und der mit ihr verbundenen Personen“. Diese Aussage hat zu Recht aufgenommen, dass „Glaube“ nicht im Sinn von „meinen“ gebraucht wird – „Ich glaube, dass auch nächste Woche die Sonne scheinen wird.“ In der jüdisch-christlichen Tradition bedeutet Glauben „vertrauen“! Allerdings: Gott soll man vertrauen – nicht den Menschen! Die Reformation entstand dadurch, dass Luther den „Glauben“ an Lehrsätze und Autoritäten verloren hatte. Er berief sich auf sein „Gewissen“. Kurz: Das Zitat ist eine Definition von „Fundamentalismus“, nicht von aufgeklärter Religion.

Fünftens: Eine kurze Bemerkung zum Begriff „Gott“. Ein bekannter Theologe hat einmal gesagt: „Einen Gott, den es „gibt“, gibt es nicht“. Das heißt: „Gott“ ist kein Objekt der Wirklichkeit, das ich wie andere Objekte analysieren und bewerten kann. Erst recht ist er natürlich kein alter Mann hinter den Wolken. Vielleicht ist es hilfreicher, ihn/sie als eine Dimension der „Tiefe“ in unserer Existenz vorzustellen oder als „Geheimnis der Welt“.

Zum Schluss: Wenn wir über Gott sprechen, wäre die sachlich-richtige Ebene, sich persönlich darüber austauschen, worauf wir im tiefsten Grund vertrauen – im Leben und im Sterben. Vielleicht würde uns klarwerden, dass manche „Objekte“ des Vertrauens gar nicht so tragfähig sind, wie wir wollen. Vielleicht würden wir sogar ahnen, dass es keinen festen Grund in unserer Welt gibt. Mir gefällt die Vorstellung: Ich gehe in meinem Leben auf einem dünnen Seil über einen Abgrund. Ich weiß nicht, ob ich abstürzen werde. Ich weiß aber, dass mein Weg eines Tages zu Ende sein wird und ich dann fallen werde. Wohin? Ich vertraue, dass ich – bildlich gesprochen – in „Gottes liebevolle Hand“ fallen werde. Ob es diesen Gott gibt, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass die Fragen mich tief persönlich betreffen (ob ich sie reflektiere oder nicht) : Auf welchem Grund gehe ich meinen Lebensweg und wie kann ich loslassen, was ich loslassen muss?

 

von Dr. Peter Hennig

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Nico Jäkel, geboren 1981 in Helmstedt, ist ausgebildeter Redakteur, selbstständiger Fotograf und ein leidenschaftlicher Hobbykoch mit einer gigantischen Sammlung an Kochbüchern. Seine Markenzeichen sind verschachtelte Sätze. Zusätzlich zu seinem Faible für Produkttestungen, engagiert sich der Lokalpatriot in seiner Heimatstadt Schöningen.