Helmstedt. Sowohl die Staatssekretärin für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung des Landes Niedersachsen Dr. Christine Arbogast als auch Landrat Gerhard Radeck zeigten sich beeindruckt von den „ganz wunderbaren, so warm und einladend eingerichteten neuen Räumlichkeiten der Hospizarbeit“ im ehemaligen „Rathaus der Neumark“ in Helmstedt.

Die beiden Gäste eröffneten nicht nur eine Wanderausstellung, sondern zugleich die siebten Hospiztage des Vereins Hospizarbeit in Helmstedt.

Dr. Arbogast formulierte: „Während meines Studiums der Erwachsenenbildung habe ich mal gelernt, und davon bin ich fest überzeugt, die Räumlichkeiten sind der dritte Pädagoge. Sie haben hier so etwas wunderbares geschaffen, dass ich außerordentlich überzeugt bin, dass Ihre sicher manchmal schwere und sehr wichtige Arbeit hier nur gelingen kann“. Sie freute sich, dass in den vergangenen Jahren in Niedersachsen „sehr viele Menschen sich diesen wichtigen Aufgaben stellen, anderen Menschen in schwierigen Lebensphasen beizustehen.“ Es gibt zwischenzeitlich 10.000 Menschen und 600 ambulante Hospizgruppen in Deutschland. „Und die Hospizarbeit Helmstedt ist bei uns in Niedersachsen ein ganz wichtiger Anteil an den rund 70 ambulante Gruppen.“

Davor hatte Vereinsvorsitzender Dr. Joachim Scherrieble eindrücklich dafür geworben, sich mit der zentralen Frage der Tage zu beschäftigen. „Die Einsicht in die eigene Endlichkeit ist nicht etwas Schlimmes, worum wir ein Tabu, eine Mauer bauen müssten, sondern lädt uns zu einem bewussteren Leben ein. Sich Gedanken zu machen, was ist mir persönlich wichtig am und im Leben, damit sollten wir uns nicht erst nicht kurz vor Schluss beschäftigen“.

„Das wird oft verkannt, in der Hospizarbeit beschäftigen wir uns mit dem Leben in Würde und Freude bis zuletzt“. Ganz bewusst und sehr beschwingt umrahmte das Sakkoba-Trio musikalisch die Frage Scherriebles „Gibt es eine Kultur des Sterbens?“.

Bedenke, dass du sterben wirst

Hierzu verwies er auf vier Aspekte als Anregung zum Weiterdenken: Er erinnerte an den mittelalterlichen Begriff der „Ars moriendi“, die „Kunst des Sterbens“, die für gutes Sterben eine Kunst zu leben, eine „Ars vivendi“ voraussetzt – analog zur asiatischen Kultur, die etwa im Tibetanischen Totenbuch, die Vorbereitung auf den Tod lehrt.

Weiter verwies es auf den römischen Ausdruck „Memento mori“, bedenke, dass du sterben wirst, den sich selbst siegreiche Feldherren während des Triumphzuges anhören mussten. Sich der eigenen Sterblichkeit bewusst sein, um bewusster zu leben. Das Symbol der Vanitas, der Vergänglichkeit, entwickelte sich zu einem wichtigen Bestandteil der cluniazensischen Liturgie – mit großem Einfluss auf das gesamte spätere europäische Kloster- und Geistesleben.

Drittens wies der Vorsitzende der Hospizarbeit darauf hin, dass Sterben in den meisten europäischen Sprachen ein aktives Wort ist. Menschen werden nicht gestorben, sondern sterben – selbst. „Jede und jeder stirbt den eigenen Tod“ – und dies kann sehr unterschiedlich sein. Doch wo und wie lernen wir das?“

Löffelliste rechtzeitig „abarbeiten“

Abschließend lenkte er das Augenmerk auf eine dem US-amerikanischen Kulturkreis stammende Tradition, der Bucket List, die „Löffelliste“, mit Dingen, die nach einer ärztlichen Diagnose mit nur noch wenigen Monate Lebensperspektive, noch unbedingt getan werden wollen…. – und fragte: „Brauchen Sie wirklich eine solche Todes-Diagnose, um sich zu überlegen, was Sie in diesem Leben unbedingt klären, tun, erreichen oder erleben möchten, was Ihnen wichtig ist im Leben?“

Sowohl die Staatssekretärin als auch Landrat Radeck zeigten sich beeindruckt von der die Wanderausstellung „Was ist gutes Sterben?“, die Gudrun Mielke-Fernow von der Hospizarbeit Wolfsburg präsentierte. Aus den 40 eingegangenen Rückmeldungen von Befragten wurde die Ausstellung gestaltet. Darunter Überschriften, die die Aussagen zusammenfassen, wie „… geborgen und gehalten fühlen …“, „… eine Feder auf der Fensterbank …“, „… man soll Späße mit mir machen…“, „… Vögel, die im Garten singen …“, „… an der anderen Seite des Flussufers …“, „… als selbstbestimmter Mensch gesehen werden …“, „… dass die Menschen erspüren, was ich benötige …“, „… einen Platz finden in Frieden …“, „… mit meinem Leben persönlich abschließen …“

Die Ausstellung formuliert Fragen, um sich den Antworten zu nähern: Was wünsche ich mir am Ende meines Lebens? Wen würde ich gerne um mich haben? Will ich Medikamente, die mich beruhigen oder meine Schmerzen lindern? Welches Gefühl möchte ich spüren? Woran erinnere ich mich gern? Wie möchte ich gepflegt werden? Wer oder was würde mir Trost geben? Was brauche ich, um bereit zu sein? Wo will ich sterben? Was will ich auf gar keinen Fall?

Bewegende und berührende Ausstellung

Es lohnt die zum Teil sehr berührenden, verblüffenden und berührenden Antworten in Text und Bild anzuschauen. Die Ausstellung kann noch bis zum 15. März 2024 während der Bürozeiten (montags bis donnerstags von 9 bis 12 Uhr sowie montags von 16 bis 18 Uhr), der Hospiztage-Veranstaltungen und auf Anfrage besichtigt werden.

Darunter unter anderem der Text einer 55-jährigen Frau: „Ich hoffe auf eine innere Ruhe nach dem Sturm des Ankämpfens, des nicht wahrhaben Wollens und der Traurigkeit. Ich hoffe auf eine Zeit des tiefen Friedens, des Loslassen. Ich hoffe, dass Menschen, die mir nahe sind, in dieser Phase mit mir zusammen zurückblicken auf das, was wir gemeinsam erlebt haben. Auf schöne Lebensphasen, besondere Momente, alltägliche Situationen. Ich hoffe, erkennen zu können, mein Leben genutzt, gefühlt, gelebt und für andere bereichert zu haben. Ich wünsche mir Menschen um mich, die den Abschied gemeinsam mit mir aushalten, die die letzte Zeit nutzen, um die Dinge miteinander zu verwirklichen, die dann noch erlebt werden wollen. Ich wünsche mir, dass gesagt ist, was gesagt werden wollte, dass gelebt ist, was gelebt werden sollte, dass einfach nur noch Zeit ist, beieinander zu sein.  Ich möchte mich geborgen und gehalten fühlen, umsorgt, vielleicht die im Meer schwimmend, vom Wasser getragen, von den Wellen bei leichtem Wind geschaukelt. Ich möchte mich fühlen, wie beim Lesen eines guten Buches an einem warmen Sommertag gemütlich im Schatten sitzend, ich möchte mich selbst verlieren und in eine andere Welt schweben. Ich wünsche mir das Gefühl, im Reinen zu sein mit mir und anderen.“

Chefredakteurin at Helmstedter Sonntag | + posts

Katja Weber-Diedrich, geboren 1976 in Helmstedt, ist seit fast 30 Jahren Lokaljournalistin durch und durch. Der Legende nach tippte die ehrenamtlich Engagierte vor 25 Jahren den ersten HELMSTEDTER SONNTAG an einer Bierzeltgarnitur. Sowohl die Tiefen der deutschen Grammatik als auch die Wirren der Helmstedter Politik sind der Chefredakteurin nicht fremd; ihr Markenzeichen sind ehrliche Kommentare und Hartnäckigkeit.