Mathias Kopetzki ist erfolgreicher Schauspieler, Synchronsprecher und Autor. Mit seinem vierten Buch „Bombenstimmung – wenn alle denken, Du bist der Terrorist“ (Bastei Lübbe Verlag, 2017) ist der gebürtige Niedersachse aktuell auf Lese-Tournee.  So wie am  Freitag, 8. März 2019, im Pferdestall Helmstedt. Der HELMSTEDTER SONNTAG traf Mathias Kopetzki vorab zum Interview.

Sie waren fünf Jahre alt, als Sie erfuhren, dass Sie adoptiert und ausländischer Herkunft sind. Wie sind Ihre Erinnerungen an das Gespräch mit Ihren Adoptiveltern?

Wie in meinem Buch beschrieben, erfuhr ich das durch Zufall beim Spielen mit meinem größeren Bruder. Anschließend fragte ich meine Mutter, ob es denn stimme, dass sie und mein Papa nicht meine „richtigen“ Eltern seien , und sie lud mich zum „Aufklärungsgespräch“ in eine Bäckerei ein. An dieses Gespräch erinnere ich mich vorwiegend, weil es leckeren Streuselkuchen und Capri-Sonne gab, und ein Besuch in einer Bäckerei damals für mich nicht alltäglich war.

 Stellt diese Erkenntnis, nicht der, der Sie geglaubt haben zu sein, einen Wendepunkt in Ihrem Leben dar?

Die Dimension dessen, was sie mir da erzählte, konnte ich mit fünf Jahren selbstverständlich noch nicht ganz begreifen. Aber ich kann mich halt noch an dieses Gespräch erinnern, und warum es stattfand. Was bei Ereignissen, die man in der frühen Kindheit erlebt, ja nicht unbedingt üblich ist. Und das bedeutet wohl, dass es in mir etwas auslöste.

Was hat sich dadurch für Sie geändert?

Vielleicht habe ich von da an verstärkter damit begonnen, auf spielerische Art und Weise nach so etwas wie „Identität“ zu suchen.

Mathias Kopetzki: „Als Kind habe ich mir wilde Geschichten über meine Herkunft ausgedacht“

Hatten Sie bereits früher, dass Gefühl, „anders“ zu sein oder entstand das Fremdsein erst später als Konsequenz auf die Gewissheit, andere Wurzeln zu haben?

Ich habe ja keine Vergleiche, weiß also nicht, wie „fremd“ oder „anders“ sich andere Leute, auch in Bezug auf Ihre Familie, manchmal fühlen. Und besonders negativ war dieses temporär auftauchende „Fremdgefühl“ auch nicht unbedingt. Im Örtchen, in dem ich aufwuchs, gab es in den 1970er, 1980er Jahren kaum Gastarbeiter, also wenig Menschen, die etwas dunkler aussahen, und da war ich mit meinem tendenziell eher „fremdländischen“ Aussehen schon mal was Besonderes.

Und da viele in so einem kleinen Tratsch-Örtchen wussten, dass die „Kopetzki-Kinder“ adoptiert waren, hab ich von Gleichaltrigen halt oft die Frage gestellt bekommen, ob ich wüsste, aus welchem Land meine „richtigen“ Eltern kamen.

Und da ich das nicht wusste, habe ich als Kind oft das Fabulieren angefangen und mir wilde Geschichten über meine Herkunft ausgedacht. Da war ich abwechselnd mal Nachfahre vom kleinen Muck, ein Prinz aus Italien oder Winnetous Sohn. Und manche meiner Freunde haben mir die Geschichten sogar abgenommen.

In Ihrem Buch „Bombenstimmung – wenn alle denken, du bist der Terrorist“ geht es um fremdenfeindliche Ängste und Vorurteile, mit denen Sie konfrontiert wurden. Aber auch Ihre jahrelange Suche nach Identität wird thematisiert. Hat Ihnen die Arbeit an Ihrem Buch geholfen, zu sich selbst zu finden?

„Sich selbst zu finden“ — das klingt gewaltig und mir ehrlich gesagt, eine Nummer zu groß. Darüber hinaus weiß ich nicht, was genau das heißen soll. Während des Schreibens, und auch manchmal, wenn ich es vortrage, wurde und werde ich teilweise mit nicht ganz so schönen Erlebnissen in meinem Leben konfrontiert, die mich sicherlich zu dem gemacht haben, was ich bin. Und wenn „Sich selbst finden“ bedeutet, dass man Resilienz entwickelt gegenüber Erfahrungen, dann kann ich das bestätigen. Denn mein Buch handelt genau von diesem Thema: „Resilienz“.

„Mein Sohn lässt mich die Themen ‚Herkunft‘, ‚Identität‘ und ‚Elternliebe‘ in einem anderen Licht sehen“

 „Bombenstimmung“ ist nicht ihr erster Buch, indem Sie Ihre Wurzeln aufarbeiten. Auch schon in „Teheran im Bauch“ (Gütersloher Verlagshaus, 2011) steht die Suche nach Heimat im Fokus. Was ist zwischen den beiden Büchern mit Ihnen passiert? 

Naturgemäß eine Menge. Seit 2011, der Erscheinung meines ersten Buches, habe ich ganz offiziell einen zweiten Beruf, nämlich Schriftsteller. Mittlerweile habe ich vier Bücher geschrieben, und die in über 150 Lesungen bundesweit vorgetragen. Mein erster Beruf hat darunter allerdings nicht gelitten. Ich bin weiterhin, sogar ein wenig erfolgreicher als davor, als Schauspieler tätig, mit Engagements an knapp 30 Theatern im gesamten deutschsprachigen Raum, Hunderten von Synchronrollen und auch ein paar Dutzend Fernseh- und Filmrollen.

Privat ist in dieser Zeit etwas Entscheidendes passiert: ich bin Papa geworden, mein Sohn ist mittlerweile sechs Jahre alt. Und er lässt mich die Dinge in puncto Herkunft, Identität und Elternliebe in noch einmal ganz anderem Licht betrachten.

 

Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach eine gefestigte Identität für das persönliche Glück? Und wie wichtig sind dafür Wurzeln?

Gefestigte Identität — ob es das gibt? Tatsache ist ja, dass das Wort „Identität“ zurzeit zu den politisch am meisten missbrauchten Begriffen weltweit gehört. Alle suchen verzweifelt nach „Identität“. Ob und wann sie „gefestigt“ ist, kann ich wirklich nicht sagen. Aber dass alle danach irgendwie suchen, bedeutet wohl, dass viele sie für ihr persönliches Glück wichtig finden.

Ich selbst kann sagen, dass es gut ist, irgendwann meine leiblichen Eltern und meine „Herkunftsfamilien“ kennen gelernt zu habe. Aber was mich wirklich glücklich macht (und das wohl auch nicht ganz unberechtigt) ist es, nicht bei ihnen aufgewachsen zu sein. Ich denke, die Lektüre beider meiner Bücher wird Ihnen das bestätigen.

Ob man zur Identität Wurzeln braucht? Gute Frage. Mir persönlich hat es sicher geholfen, meine „Wurzeln“ aufzustöbern, und mir sicherlich auch Antworten gegeben auf Fragen, die lange in mir brodelten. Vielleicht hat mich das tatsächlich etwas ausgeglichener gemacht. Kann aber auch am Alter liegen.

Der Autor Mathias Kopetzki im Gespräch mit dem HELMSTEDTER SONNTAG über salonfähigen Rassismus, Heimat und Identität.

Der Autor Mathias Kopetzki im Gespräch mit dem HELMSTEDTER SONNTAG über salonfähigen Rassismus, Heimat und Identität.

„Zuhause geht mir nicht die Pumpe hoch. Heimat empfinde ich meist im Theater – egal an welchem Ort es steht“

Der Autor Janosch hat mal in einem Interview gesagt, Heimat wäre für ihn „nicht mehr als das Zuhause seiner Erinnerung“. Wie beurteilen Sie diese Aussage?

Das klingt gut, und ich denke, das kann ich bestätigen. Ich bin kein sehr heimatbewusster Mensch, im herkömmlichen Sinne. Ich lebe seit über zwanzig Jahren glücklich in Großstädten, seit siebzehn Jahren in Berlin, und mich zieht so überhaupt nichts in die niedersächsische Kleinstädtigkeit zurück, also in die „Heimat“, in der ich aufgewachsen bin. Noch nicht einmal in ein Häuschen auf‘s Land, wie ich das bei vielen meiner Altersgenossen beobachte. Mir geht auch nicht verstärkt die Pumpe hoch, wenn ich mal meine Mama in Hude besuche. Heimat empfinde ich kurioserweise meist im Theater, selbst wenn ich eine Zeit lang „theaterabstinent“ lebe. Aber allein der Geruch und die Geräusche der Bühne lassen mich ein Gefühl von Heimat empfinden, egal in welcher Stadt, an welchem Ort dieses Theater steht.

Sie sind in den 1970er Jahren groß geworden. Hat sich die Dimension der fremdenfeindlichen Reaktionen auf ein andersartiges Erscheinungsbild in den vergangenen Jahren gewandelt? Falls ja, wie sind Sie in Ihrer Kindheit und Jugend damit umgegangen und wie stehen Sie heute als gefestigter Mann zu Vorurteilen bis hin zu rassistischen Äußerungen?

Ich selbst erlebe diese Dinge zum Glück kaum noch, und wenn, dann sind es seltsame Missverständnisse, die mich eher zum Lachen bringen. Es gab sicherlich Zeiten in meinem Leben, wo ich sensibler auf gewisse Projektionen reagiert habe, aber im Endeffekt halten sich die „fremdenfeindlichen Erlebnisse“, von denen ich zu berichten weiß, als ein durch und durch deutschsozialisierter Mann, der nicht etwa Ali Ben Salem, sondern Mathias Kopetzki heißt, und in einem kulturellen, linksliberalen Milieu verkehrt, ohnehin in Grenzen. Schlimm genug allerdings, dass meine bescheidenen Erfahrungen dennoch ein Buch gefüllt haben. Wie dick muss das Buch erst eines Ali Ben Salem ausfallen, der meinetwegen in Sachsen oder Thüringen lebt, und Tag für Tag erleben muss, was es heiß, nicht „so ganz“ dazu zu gehören? Was ich mit meinem Buch erzählen will, ist, dass es verdeckten Rassismus in der Bundesrepublik wohl immer gab. Der Unterschied zu heute: Er ist jetzt salonfähig geworden.

Was können Sie Menschen mit Migrationshintergrund mitgeben, um sich besser in einer für sie fremden Kultur zurechtzufinden?

Naja, vielleicht, von vornherein nicht zu erwarten, irgendwann vollständig integriert zu werden. Ich denke, in jedem Menschen schlummert ein kleiner Rassist. Vielleicht hat ja auch das mit „Identitätsfindung“ oder „Abgrenzung“ zu tun: wenn ich weiß, wer NICHT dazu gehört, weiß ich, WER dazu gehört. Das gibt es ja nicht nur in Sachen Migration, sondern auch zum Beispiel in sozialen Milieus. Es ist schön, wenn so etwas wie Integration gelingt, und für viele Menschen stellt sie auch kein Problem dar. Aber ich denke, die Menschen, die gefühlt oder auch ganz konkret ein Problem damit haben, die wird es immer geben.

 

Was kann die Gesellschaft tun, um Fremdartigkeit den ihr angehefteten negativen Beigeschmack zu nehmen? 

 Kopetzki: „Rassismus ist salonfähig geworden. Dabei sollten wir froh sein, dass viele Fremde einen Großteil der Arbeit erledigen, die Deutsche nicht mehr machen wollen!“

 Ich denke, es ist wichtig für uns alle zu lernen, „Fremdes“ nicht gleich mit „Bedrohlichem“ gleichzusetzen, sondern es vor allem als Bereicherung zu begreifen. Wenn man allein an unsere nationale Küche denkt, dann haben „Fremde“ die deutsche Hausmannskost ja nun ungemein bereichert, und wir leben alle noch. Und gerade in Zeiten des Fachkräftemangels sollten wir schleunigst umdenken, und froh sein, dass so viele „Fremde“ nach Deutschland wollen (noch!), weil es in ihren eigenen Ländern viel beschissener zugeht. Wir sollten froh sein, dass viele „Fremde“ einen Großteil der Arbeit erledigen, die „Deutsche“ nicht mehr machen wollen.

Wenn eine Zeitreise möglich wäre: Was würden Sie heute Ihrem fünfjährigem Ich als Rat geben? 

Ich glaube, der fünfjährige Mathias ist intuitiv schon ganz gut mit der damaligen Situation umgegangen. Er hat seine Fantasie eingeschaltet und sich in „Identitäten“ geflüchtet. Viel anders macht es 45-jährige Mathias ja auch nicht. Bloß, dass der damit sein Geld verdient.

Herr Kopetzki, vielen Dank für das Interview.

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Katharina Loof, geboren 1980 in Nordrhein-Westfalen, begann ihre journalistische Tätigkeit im Kölner Raum, bevor sie 2010 nach Schöningen zog. Die dreifache Mutter mag Dorf-Klüngel und Pflastersteine auf vollen Marktplätzen. Am Lokaljournalismus schätzt die Esbeckerin die Nähe zum Menschen. Die Karnevalistin tritt gerne mal zu stark auf’s Gas: sowohl im Fahrzeug als auch bei der Freigabe der Autokorrektur.