Sie gilt als die Sprache der Dichter und Denker, wird von „Fremdsprachlern“ als unglaublich schwer zu erlernen bezeichnet und hat zugegeben ihre Kniffe. Nicht unberechtigt gibt es den Ausspruch „Deutsche Sprache, schwere Sprache“. 

Mit diesem Sprichwort erkennen Deutschsprachige die Herausforderung und die Abneigung an, die dem Ruf der am häufigsten gesprochenen Muttersprache Europas anhaftet: Deutsch ist schwer zu lernen und hat – im Vergleich zu anderen Sprachen – einige verwirrende Elemente. Das wissen vor allem diejenigen, die Deutsch als Fremdsprache lernen wollen, können oder müssen. 

Begünstigt und/oder aufgedeckt durch soziale Medien allerdings gibt es auch bei Menschen, deren Muttersprache die deutsche ist, so manches Mal arge Probleme. Das fängt bei fehlenden Satzzeichen (die längere Ausführungen schlichtweg unverständlich machen) an und hört bei neuen Wortschöpfungen auf, die daher rühren, dass die Verfasser nicht wissen, wie es richtig geschrieben wird, und sie scheinbar nicht in der Lage sind, das Wort einfach nachzuschlagen. 

Schwere Sprache – sowohl in der Aussprache als auch in der schriftlichen Darstellung

Im Mai widmet sich der HELMSTEDER SONNTAG mit dem Monatsthema „Deutsche Sprache, schwere Sprache“ den Phänomenen, die in allen Bereichen auftreten: sowohl in der Aussprache als auch (und besonders) in der schriftlichen Darstellung. 

„Dank“ der sozialen Medien ist die letztgenannte Kuriosität umfangreicher darzustellen, da es unterschiedlichste Sammlungen gibt, in denen „Sprachschätze“ aufgelistet werden. 

Im ersten Teil der Monatsserie geht es deshalb genau um diese. „Ich hätte nie gedacht das das warten bis die Katze heim kommt und die zecken suchen und rausziehen zu meinem heileit des Tages wird“, „Hallo ich würde gerne Bandnudeln mit Hänschen Fleisch machen habt ihr ne sose dafür?“ oder „Kennt sich jemand mit Lacrosse Intolerants aus? Kann das recht plötzlich auftretenden? Seit geraumer Zeit bekomme ich nach Verzehr von Milchprodukte Bauchschmerzen“ – Diese drei beispielhaften Postings waren tatsächlich so niedergeschrieben via Facebook, Twitter und Co. und sie dürften bei den meisten Menschen für Kopfschütteln sorgen. 

Aber wie kann es sein, dass Hunderte die einfachsten Wörter nicht richtig schreiben können? 

Leider ist der Hintergrund oftmals ein ernster

Vor rund einem Jahr hat die Deutsche Presse-Agentur eine vom Bundesbildungsministerium unterstützte Studie veröffentlicht, aus der Erschreckendes hervorging: Demnach sollten 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland im Jahr 2018 nicht richtig auf Deutsch lesen und schreiben können – dabei war für mehr als die Hälfte von ihnen Deutsch die Muttersprache. 

Dass Migranten möglicherweise die deutsche Sprache nicht so gut beherrschen, ist verständlich. Deshalb ist die Gruppe der deutschen Muttersprachler die wichtigste: 7,3 Prozent aller Erwachsenen mit Deutsch als ers-ter Sprache verfügten 2018 nur über geringe Lese- und Schreibfähigkeiten.

Trotzdem: 2011 soll die Zahl der Menschen mit geringen Lese- und Schreibfähigkeiten insgesamt noch 7,5 Millionen betragen haben, also etwa 1,3 Millionen mehr. Bundesbildungsminis-terin Anja Karliczek hatte diesen Rückgang seinerzeit als einen „Erfolg für unser Bildungssystem“ bezeichnet, allerdings auch unterstrichen, dass „Politik und Gesellschaft aber nicht nachlassen“ dürfen bei dem Thema.

Es ist verständlich, dass gerade Erwachsene viel Überwindungskraft brauchen, um sich dem Problem der Lese- und Schreibschwierigkeiten zu stellen. Funktionaler Analphabetismus ist oft die Ursache dafür. Betroffene können im Gegensatz zu Analphabeten, die keinerlei Lese- und Schreibkenntnisse haben, zwar einzelne Wörter und Sätze lesen und schreiben, aber nicht immer verstehen.

Nun können allerdings nicht alle „Schlechtschreiber“ in den sozialen Medien funktionale Analphabeten sein. Bei vielen gibt es ganz andere Probleme als Ursache für ihre Unwissenheit. 

Auch leiden rund vier Prozent der Schüler eines Jahrgangs in Deutschland an Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS), der Legasthenie. 

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert LRS als eine Entwicklungsstörung der Lese- und Schreibfähigkeiten. Die betroffenen Kinder fallen dadurch in der Schule auf, dass sie, abgesehen von den Leistungen beim Lesen und Schreiben, eigentlich gute schulische Leistungen erbringen. 

Legasthenie hat nichts mit Analphabetismus zu tun. 

Man vermutet, dass bei LRS genetische Einflüsse oder Schädigungen während Schwangerschaft und Geburt die Informationsverarbeitung im Gehirn beeinflussen und so die Entwicklung gestört wird. Das Elternhaus und das Umfeld des Kindes dagegen haben bezüglich der Ursachen der Störung nur wenig Bedeutung.

Analphabetismus und Legasthenie haben unterschiedliche Ursachen

Analphabetismus hingegen  wird oft auf ungünstige familiäre und soziale Verhältnisse zurückgeführt: Soziale Schwierigkeiten in der Familie, desinteressierte und überforderte Eltern, Vernachlässigung oder eine längere Krankheit können dazu beitragen, dass Kinder während der Schulzeit nicht richtig lesen und schreiben lernen.

Oftmals gibt es also einen ernsten Hintergrund für „Kauderwelsch“-Nachrichten in sozialen Netzwerken…

Rechtschreibreformen und das Aussterben des Genitivs

Bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts hatte es eine Art Rechtschreibreform in Deutschland gegeben: Nachdem im Jahr 1876 die erste „Orthographiekonferenz“ scheiterte, wurde beim zweiten Anlauf 1901 in Berlin über die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung beraten. 

Dazwischen wurde 1880 mittels Erlass in Preußen eine vereinfachte Rechtschreibung (Puttkamersche Orthographie) eingeführt. Einige Ideen der ersten Konferenz wurden bei der zweiten Konferenz umgesetzt. 

Beide Konferenzen standen im Licht der Öffentlichkeit und wurden insbesondere von den überregionalen Tageszeitungen heftig diskutiert. So schrieb beispielsweise die Kölnische Zeitung am 27. Januar 1876 (Quelle: Wikipedia): „Wir haben gesehen, dass die Vocale a o u und ihre Umlaute von der Verdoppelung und dem Parasiten h befreit werden sollen. In dieser Aufzählung vermissen wir leider e und i. Diese armen Lettern werden wegen ihrer Dünnleibigkeit verdammt, den falschen Hauchlaut als ewige Last mit sich herumzuschleppen; nehmen, stehlen, kehren und ähnliche Wörter bleiben in jenem Stallwinkel liegen, wohin die reinigenden Fluten des Alpheios nicht dringen sollen.“

100 Jahre später wiederholte sich das Spiel

Darüber mag man schmunzeln, allerdings sollte bedacht werden, dass es 100 Jahre später nicht anders war. 

Die Rechtschreibreform von 1996 hatte eigentlich zum Ziel, die deutsche Rechtschreibung zu vereinfachen. Sie führte allerdings zu noch größeren Auseinandersetzungen als der erste Anlauf. Stolze viermal wurde das Regelwerk in besonders strittigen Punkten überarbeitet: 2004, 2006, 2011 und 2017. 

Aktuell wird in den Schulen die so genannte „reformierte Rechtschreibung“ gelehrt. Wer allerdings in den Jahren der vielen Änderungen beschult wurde, dürfte hin und wieder den Überblick verloren haben.

Auch heute noch reden sich manche Personen mit einer schlechten Rechtschreibung damit heraus. Allerdings entschuldigt die ständige Reformierung die Fehler im sprachlichen Gebrauch nicht. Und auch alte Mundarten wie das Plattdeutsche können nicht immer als Ausrede herhalten, wenn jemand den Unterschied zwischen „zu“ und „nach“, „als“ und „wie“ oder das „Einzige“ und das „Einzigste“ (was es natürlich gar nicht gibt) nicht kennt. 

Geschludert wird in vielen Bereichen

Nicht nur in Unterhaltungen, auch in gesprochenen Nachrichten, in Filmen oder Rundfunkbeiträgen gibt es sprachliche „Schludereien“: Im Verkehrsfunk wird berichtet, dass ein Laster auf der Autobahn liegen geblieben ist. Da fragt sich der aufmerksame Hörer doch, welche Plage wem abhanden gekommen ist. In den Fernsehnachrichten wird berichtet, dass „wegen ihm“ etwas geschieht, dabei sollte es doch „seinetwegen“ sein.

Das macht wiederum deutlich, dass der Genitiv ausstirbt. „Die Frau meines Freundes“ wird zur „Frau von meinem Freund“ und, der Garten meines Nachbarn zum „Garten von meinem Nachbarn“. 

Bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts hatte Georg von Gabelentz, einer der Gründungsväter moderner Sprachwissenschaft, dazu beobachtet: „Die Geschichte der Sprachen bewegt sich in der Diagonale zweier Kräfte. Dem Bequemlichkeitstrieb einerseits, der zur Abnutzung der Endungen führt, und dem Deutlichkeitstrieb andererseits, der die Abnutzung nicht in Zerstörung von Sprache ausarten lässt.“

Also alles nur Bequemlichkeit, dass beispielsweise der Dativ dem Genitiv sein Tod ist (um einen bekannten Kritiker des falschen Deutschgebrauchs, Bastian Sick, zu nennen)?

„Forwerz“ von Ferry

Ein Leser, der sich selbst „Ferry“ nennt (der richtige Name ist der Redaktion bekannt) hat sich dazu seine eigenen Gedanken gemacht. Er schreibt: Oh fein, die Schule fällt aus! Corona sei Dank! So freut sich manches Kind. Dass ihm dadurch etwas weggenommen wird, kommt selten ins Bewusstsein. Deshalb regte ich meinen achtjährigen Enkel an, uns per E-Mail etwas zu schreiben. Und so teilte er mir stolz mit: „Auf dem Trampolin habe ich einen Forwerz Salto geschafft und bin im Stehen angekommen.“ Natürlich beglückwünschte ich seine sportliche Leistung und versprach, wenn ich ihn in Seesen wieder besuchen darf, das auch zu versuchen. (Ich bin Jahrgang 1938.) Natürlich schrieb ich auch, dass man das Wort: >vorwärts< schreibt. 

Aber es hat bei mir einen schon lange schlummernden Protest gegen die derzeitige Schreibweise der deutschen Sprache wach gerufen. Es gab ja vor ein paar Jahren eine Rechtschreibreform, aber die war, so finde ich, nur halbherzig.

So empfinde ich das Q als einen vollkommen unnötigen Buchstaben. Es wäre besser, wie im niederländischen, statt dessen >kw< zu schreiben. Auch das V wird ja wie das F ausgesprochen. Wozu also einen extra Buchstaben? Wie in meiner Überschrift kann man statt ts oft z schreiben. Das Ü könnte man leicht durch das Y ersetzen oder umgekehrt. Beim Ä und E ist es schon schwieriger. Im Norden spricht man es gleich, in Süddeutschland legt man großen Wert auf den Unterschied. 

Ja, und dann die Dehnungslaute. Oh, ih, eh, ie und so weiter. Warum nicht, wie im Finnischen, einfach eine Verdoppelung des Vokale? Dann wäre da noch der Zischlaut sch. Statt dessen könnte man den Buchstaben aus dem Alphabet der Lautschrift benutzen. Also ein ganz schmales S. 

Außerdem sollte man endlich alle ph durch f ersetzten. 

Na ja, sicherlich gäbe es noch manches andere, das es wert ist, eine Änderung zu überdenken…

„Lesen bildet“ heißt es – Können Bücherwürmer auch wirklich fehlerfreier schreiben und sprechen?

Über eine umfangreiche Beteiligung der Leser freut sich der HELMSTEDTER SONNTAG beim Monatsthema „Deutsche Sprache, schwere Sprache“.

Germanistik-Student Marius Gronde aus Warberg hat sich auch seine Gedanken gemacht und einen Gastbeitrag verfasst. Dazu später mehr. 

Vorher soll ein Blick geworfen werden auf den Spruch „Lesen bildet“: Wenn das stimmt, ist dann auch automatisch die Rechtschreibung und Grammatik von Leseratten und Bücherwürmern besser als die von Menschen, die selten oder gar nicht zu einem Buch greifen? 

Es gibt einige Studien dazu und sie haben alle eines gemein: In allen ermittelten die Forscher, dass das Lesen in jedem Alter gut ist.

Bei Kindern wird der Signalaustausch zwischen verschiedenen Hirnregionen verbessert, bei Erwachsenen stärkt es die Fähigkeit, geistig in andere Rollen zu schlüpfen und bei der Sache zu bleiben. Senioren, die viel lesen, bleiben länger geistig fit und zeigen seltener Symptome einer Demenz. 

Menschen, die lesen, verbinden im Gehirn visuelle, sprachliche, emotionale und motorische Areale miteinander, heißt es. Und in einer Studie, die 2018 im „Social Science Research“ veröffentlicht wurde, wurde herausgefunden, dass die Menschen, die in ihrer Jugend viele Bücher „verschlungen“ haben, heute besser lesen, schreiben, rechnen oder auch technische Probleme lösen können.

Damit dürfte es von vielen Seiten klargestellt sein: Wer die deutsche Sprache möglichst fehlerfrei beherrschen möchte, sollte viele Bücher lesen. 

Oder Germanistik studieren, wie Marius Gronde, dessen Gastbeitrag zum Monatsthema „Deutsche Sprache, schwere Sprache“ nun folgt. Marius Gronde schreibt: 

Liebe Redaktion, liebe Leser, 

ich bin Student der Germanistik und habe in den vergangenen Jahren viel Kontakt mit Menschen unterschiedlichster Herkunft und mit den unterschiedlichsten Muttersprachen gehabt. Alle waren sich aber einig, wenn es um die größte Herausforderung beim Lernen unserer Sprache ging: das deutsche Genus- und Artikelsystem. Anscheinend wahllos ist im Deutschen das grammatische Geschlecht verteilt, die drei Artikel wirken wie zufällig vom Sprachen-Gott über den Substantiven ausgeschüttet. Aber wie kommt man dazu, die Gabel als weiblich und den Löffel als männlich anzusehen? Einer der Erklärungsansätze ist folgender:

Bevor wir diese Frage beantworten können, müssen wir 5.000 Jahre in der Zeit zurückreisen. Damals, im so genannten Indogermanischen, gab es nur ein Genus, aus dem später das „Maskulinum“ werden sollte. Nach und nach kamen dann die anderen Genera dazu, noch ohne Geschlechtsbezeichnungen: das spätere Neutrum als Kategorie für alle Ergebnisse einer Handlung: „das Dach“ ist, was man deckt, „das Leid“ ist, was man leidet, „das Kind“, ist, was heranwächst und so weiter. Wohlgemerkt, alles noch in vorchristlicher Zeit.

Als letztes entwickelte sich das spätere Femininum als Abstraktion mit genereller Bedeutung. Dies waren zum Beispiel „die Seele“ oder „die Psyche“. Es war also eine kollektive Variante des Neutrums. So ist „das Spiel“ etwas, das man spielt. „Die Spielerei“ ist hingegen ein Kollektiv von Spielen. 

Man kann also sagen, das Maskulinum war ursprünglich das Genus des Konkreten („Der Leser“, „der Spieler“ und so weiter), das Neutrum das Genus der Handlung („Das Lesen“, „das Spielen“) und das Femininum das Genus der Abstraktion („Die Leserei“, „die Spielerei“).

Da nach dieser Entwicklung noch einige tausend Jahre bis zum heutigen Tag vergingen, haben sich im Laufe der Zeit einige Ausnahmen und Lehnwörter eingeschlichen, die dieser Regel zuwider laufen. Insbesondere fand der griechische Philosoph Protagoras im fünften Jahrhundert vor Chris-tus die irreführenden Bezeichnungen ho (männlich), he (weiblich) und tó (leblos) für diese Kategorie. Irreführend deshalb, weil das Maskulinum das Bezeichnete nicht männlich, das Femininum nicht weiblich macht. Und so sei dieser Artikel allen gewidmet, die meinen, sich vom generischen Maskulinum diskriminiert fühlen zu müssen.

Zahlreiche Erwachsenenangebote machen deutlich: Was Hänschen nicht lernt, kann Hans sehr wohl noch lernen

6,2 Millionen Menschen in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben. Der Grund dafür wird nicht immer auf Analphabetismus, eine Aufmerksamkeitsstörung oder Legasthenie „geschoben“, sondern beispielsweise auch auf die elterliche Bildung oder das Schulsystem. 

„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ heißt es in einem Sprichwort. Aber ist das wahr, dass diejenigen, die bereits zu Schulzeiten die deutsche Sprache nicht richtig beherrschten, sie nie korrekt verwenden werden? 

Alphabetisierungskurse an Erwachsenenbildungseinrichtungen beispielsweise widersprechen dem. 

Der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung ist die einzige bundesweite Fach-, Service- und Lobbyeinrichtung dieser Art in Deutschland. Mit nahezu 400 Personen und Institutionen ist der Verband als gemeinnützig anerkannter Verein bundesweit präsent und finanziert diese wichtige Arbeit durch Mitgliedsbeiträge, Spenden sowie Verkaufserlöse. 

Als Aufgabe sieht der Bundesverband, Erwachsene zu motivieren, ihr Lesen und Schreiben zu verbessern. Darüber hinaus widmet er sich der bundesweiten Optimierung des bestehenden Kursangebots für Lese- und Schreibunkundige. 

2016 haben zudem Bund und Länder eine Nationale Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung (AlphaDekade) ausgerufen. Im Zeitraum von 2016 bis 2026 soll die Lese- und Schreibfähigkeiten von Erwachsenen in Deutschland deutlich verbessert werden. Dabei sollen Erwachsene mehr Angebote als bisher bekommen, die sie dabei unterstützen, besser Lesen und Schreiben zu lernen.

Die Maßnahmen des Bundesbildungsministeriums gelten insbesondere arbeitsmarktnahen Themen und Zielgruppen. Ziel ist es zum Beispiel, Grundbildung in den Kontext von betrieblichen Weiterbildungsangeboten einzubauen.

Eine Kampagne mit dem Titel „Mein Schlüssel zur Welt“  informiert über funktionalen Analphabetismus und trägt dazu bei, das Thema zu enttabuisieren. Mit TV-, Radio- und Hörfunkspots sollen betroffene Menschen motiviert werden, den Schritt in die Weiterbildung zu gehen.

Auf der Internetseite des Bundesbildungsministeriums (www.bmbf.de) sind unter dem Reiter „Alphabetisierung“ zudem „Erfolgsgeschichten“ nachzulesen von Menschen, die sich dem Problem ihrer Lese- und Rechtschreibschwäche gestellt haben.

Das alles macht deutlich: Angebote sind durchaus vorhanden. Allerdings muss erst einmal das Eingeständnis da sein, dass Nachholbedarf besteht. Zwar machen in sozialen Medien nicht nur Germanistikstudierte und Lehrer Verfasser unleserlicher Beiträge auf Fehler aufmerksam, sondern sogar extra dafür gegründete Seiten, aber die Einsicht bei den Betroffenen ist selten vorhanden. 

Das ist schade, denn die deutsche Sprache sollte nicht nur als schwer angesehen werden, sondern sie ist auch eine besonders schöne Sprache. 

Die Leser diskutierten beim Monatsthema eifrig mit und machten sich ihre ganz eigenen Gedanken

Ein Monat ist definitiv zu kurz, um die Schwierigkeiten der deutschen Sprache, deren falschen Gebrauch, den Tod des Genitivs und so vieles mehr zu beleuchten. Das ist das Resümee des Mai-Monatsthemas „Deutsche Sprache, schwere Sprache?!“. 

Vieles gäbe es sicherlich noch auszuführen. Zum Beispiel könnte der Frage nachgegangen werden, wo das gute alte „Meinetwegen“ und „Deinetwegen“ hin verschwunden sind. Gerade während der Bearbeitung des Monatsthemas fiel in der Redaktion des HELMSTEDTER SONNTAG nämlich auf, dass in Filmen, Serien, Nachrichtensendungen oder sonstigen gesprochenen TV- und Radiobeiträgen immer etwas „wegen mir“ oder „wegen dir“ geschieht, aber nicht mehr „meinetwegen“ oder „deinetwegen“. Wer jetzt einmal beim Fernsehschauen darauf achtet, wird dies hundertprozentig beobachten können…

Zum Monatsabschluss soll aber auf Wunsch vieler Leser noch einmal auf die schlimmsten Sünden sowie auf die Diskussionsbeiträge der Leser selbst eingegangen werden. 

Drei Meinungen von Lesern zum Thema

Dass die Bemühungen zur „Rettung“ der deutschen Sprache im Sande verlaufen, meint zum Beispiel Hans-Joachim Buttler. „Im Zeitalter der Digitalisierung,  in der man nur noch mit Kürzeln schreibt, und ferner durch das Fernsehen, wenn auch die Fernsehstars den Genitiv schon lieber durch den Dativ ersetzen, ja, was soll denn das werden?“, schreibt er und fährt fort: „Es ist schade , dass unsere Sprache so aus der Mode kommt… Es ist immer der Konflikt zwischen Schreiben, Lesen und Sprache, den werden wir nicht mehr ändern. Trotzdem finde ich Ihre Anregung gut, unserer Sprache und unserer Schreibschrift mehr Aufmerksamkeit zu schenken, das allein würde schon genügen, um bewusster mit dem hohen Gut umzugehen“, so Buttler. 

Eo Hanne freut sich in seiner E-Mail über die Ausführungen zum Genitiv, aber auch über die Worte von „Ferry“ – einem Leser, der unter anderem in der Schreibwerkstatt St. Marienberg als Autor aktiv ist.

„Auch ich gehöre zum Jahrgang 1938 und habe meine ‚konservativen‘ Ansichten dazu. Das sind die Auswirkung der Lernmethode ‚schreiben wie gehört‘“, vermutet Hanne dabei. 

Der angesprochene „Ferry“ selbst hatte sich noch einmal seine ganz eigenen Gedanken zur deutschen Sprache gemacht und eine kleine Weisheit unter dem Titel „Kontrolle“ geschickt: „Es war so um 1960 herum. Mein Vater und ich befanden uns auf der Rückfahrt nach West-Berlin an der Kontrollstelle Marienborn. ‚De Babbiere bitte.‘ Mein Vater zeigt unsere Personalausweise. ‚Fohren se bitte of die rechte Schbur.‘ Nach fünfzig Metern erneut eine

Kontrolle. ‚Ihre Babbiere bitte.‘ Darauf mein Vater: ‚Der Golleje hot schon gondroliert.‘ Mein Vater lächelt aber dazu und reicht die gewünschten Ausweise. Da lächelt auch der Grenzer. Gerade noch gut gegangen. Es hätte auch sein können, dass er ernst bleibt und sagt: ‚Fohren se mal dor rechts ran und backen se olles aus!‘ Glück gehabt.“

Zum Nachdenken: Seit wann ist „schrittweis“ ein Adjektiv?

Ganz ausführlich wiederum waren zwei E-Mail von Ivo Landré. Der Leser deckte zunächst promt einen Fauxpas des HELMSTEDTER SONNTAG auf. „Sie haben kürzlich, ich glaube sogar in einer Titelzeile, davon geschrieben, dass reichliches Lesen zu einem ‚fehlerfreieren‘ Gebrauch der Sprache befähigen würde oder so ähnlich. Nun bezeichnet ‚fehlerfrei‘ ja aber die Abwesenheit von Fehlern. Null Fehler. Kann man das steigern? Nach meinem Verständnis kann es also den Komparativ ‚fehlerfreier‘ genauso wenig geben wie ‚das Einzigste‘. Vielleicht liege ich aber auch falsch, denn in anderen Zusammenhängen ist ‚frei‘ ja durchaus steigerbar, und Freiheit ist fast nie absolut, sondern immer nur mehr oder weniger vorhanden.“

Was Landré aber vor allem anmerken wollte, war der in seinen Augen unzulässige adjektivische Gebrauch der „-weise“-Adverbien: „Man hört heute selbst in den Nachrichten renommiertes-ter Medien, was noch vor fünf Jahren undenkbar war, von ‚zeitweisen Einschränkungen‘ und ‚schrittweisen Lockerungen‘ zum Beispiel der Pandemiemaßnahmen. Auch die Berufsgenossenschaften der Gesetzlichen Unfallversicherung, die eigentlich immer auf korrekten Sprachgebrauch bedacht sind, haben schon lange die ‚stufenweise Wiedereingliederung‘ in den Arbeitsprozess in ihrem Portfolio. All das kann man aber so nicht sagen, denn ‚zeitweis‘ ist kein Adjektiv, ebensowenig wie ‚schrittweis‘  oder ‚stufenweis‘. Ich glaube, dass ‚schrittweis‘ hier der Rädelsführer ist, weil man es nicht so zwanglos durch ein passendes Adjektiv ersetzen kann wie etwa ‚zeitweis‘ durch ‚zeitweilig‘ oder ‚stufenweis‘ durch ‚abgestuft‘.“

Landré denkt noch weiter ausführlich über den (Fehl-)Gebrauch der deutschen Sprache nach sowie auch anderer Sprachen und kommt zum Fazit: „Sprachbeobachtung lohnt sich immer, ein Entgegenstemmen gegen ‚inkorrekten Sprachgebrauch‘, der in der Zukunft meistens als Weiterentwicklung akzeptiert werden muss (ohne dass das dann noch zu werten wäre), lohnt sich eigentlich nicht.“

Andererseits machte in den Augen Landrés der Artikel über die Erwachsenenalphabetisierung in Deutschland „viel Mut und Hoffnung, dass die schriftliche Sprachkompetenz in Deutschland verbessert werden kann, und dass es hierzu erhebliche Anstrengungen gibt. Ein sehr positiver Gedanke!“

Zu den Beispielen der Verschandelung der Rechtschreibung und Grammatik, die bei Facebok gefunden wurden, schließlich hatte Landré eine interessante Auffassung: „Meine erste Reaktion war natürlich: alle Haare sträubten sich. Die nächste Reaktion: Mitleid. Dann aber der Gedanke: eigentlich ist es doch wunderbar, dass derjenige/diejenige sich ÜBERHAUPT schriftlich ausdrücken kann! Positiv gedacht ist das doch ein wunderbarer Erfolg – Rechtschreibung hin oder her.“

Er war sich sicher, dass sich so mancher in den nächsten Jahren noch wundern werde, „welchen Einfluss der Umgang mit Rechtschreibung und Grammatik in den digitalen Medien auf unsere Sprache haben wird – betrachten doch viele offensichtlich den elektronischen Schriftverkehr als rechtschreibungs- und grammatikfreien Raum.“

Kolumnen zum Monatsthema

Bekannte Gefahr

Zu unserem Monatsthema im Mai kommen mir sofort zahlreiche Sprichwörter in den Sinn: „Der Schuss kann auch nach hinten losgehen“, „Da bewegst du dich aber auf ganz dünnem Eis“ oder „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen“… 

Dennoch blieb ich bei meiner Entscheidung, einen Monat lang über die Schwierigkeiten der deutschen Sprache, deren teils grausame Darstellung, aber auch den Unterschied zwischen gravierenden Rechtschreib-/Grammatiklücken und einfachen Tippfehlern zu berichten. 

Natürlich sind auch wir nicht vor Fehlern gefeit und so mancher aufmerksame Leser weist uns auf Schnitzer hin. Aber mir geht es eigentlich um etwas anderes: Gerade in sozialen Medien drängt sich bei einigen Nachrichten der Verdacht auf, dass im Schulunterricht kein Deutsch gelehrt wird oder dass die Verfasser diese Stunden geschwänzt haben. 

Es soll um „Extremfälle“ der deutschen Sprache gehen im Monat Mai. Und das Ganze soll nicht oberlehrerhaft daher kommen, sondern vielmehr mal zum Schmunzeln oder auch zum Nachdenken anregen. Hoffentlich macht das Lesen genauso viel Spaß wie die Recherche! 

Na, meinetwegen

Meinetwegen könnte das Monatsthema noch fortgesetzt werden. Und das auch Ihretwegen, liebe Leser. Denn die Rückmeldungen, Meinungen, Beiträge und Anmerkungen, die mich im Mai zum Thema „Deutsche Sprache, schwere Sprache?!“ Ihrerseits erreichten, waren toll und umfangreich. 

Dabei hatte ich zunächst ja etwas „Angst“, dieses Thema anzugehen und befürchtete, jeden Tippfehler in unserer Zeitung von Ihnen „um die Ohren gehauen“ zu bekommen. Aber dem war nicht so.

Es sollte eben nicht um Buchstabendreher, sondern um die komplette Verunstaltung der deutschen Sprache an sich gehen. Das haben Sie akzeptiert und eifrig darüber philosophiert, nachgedacht und sich Ihre ganz eigene Meinung gebildet. Einige habe ich auf Seite 2 im Abschlussbericht noch einmal zusammengefasst.

Apropos: Ist Ihnen bis hierhin etwas aufgefallen? Genau! „Meinetwegen“ und „Ihretwegen“ habe ich ganz bewusst eingangs gebraucht, weil das sonst scheinbar niemand mehr macht. 

Das ist ein Punkt, der mich etwas betrübt. Wir sind so umgeben von einem „Wegen mir“, dass es manchmal schon nicht mehr schön ist. 

Warum bloß ist es aus der Mode gekommen, die in meinen Augen schöne Formulierung „meinet-“, „deinet-“ oder „Ihret-“ oder „euretwegen“ zu verwenden? 

Chefredakteurin at Helmstedter Sonntag | + posts

Katja Weber-Diedrich, geboren 1976 in Helmstedt, ist seit fast 30 Jahren Lokaljournalistin durch und durch. Der Legende nach tippte die ehrenamtlich Engagierte vor 25 Jahren den ersten HELMSTEDTER SONNTAG an einer Bierzeltgarnitur. Sowohl die Tiefen der deutschen Grammatik als auch die Wirren der Helmstedter Politik sind der Chefredakteurin nicht fremd; ihr Markenzeichen sind ehrliche Kommentare und Hartnäckigkeit.