Früher gab es mehr Schnee, weniger Regen und im Sommer schien jeden Tag die Sonne.“ Das ist eine typische Aussage, die viele von ihren Großeltern gehört haben. Am Ende stand dabei immer die Kernaussage „Früher war alles besser“, von der ältere Menschen überzeugt waren – und es heute immer mehr Menschen jedes Alters sind. 

Aber wie kann das sein, dass in jeder Generation wieder behauptet wird, dass „annodazumal“ alles anders, angenehmer, einfacher – kurz gesagt „besser“ – war? 

Und ist das tatsächlich so? 

Nostalgiker haben eine verzerrte Wahrnehmung: Denn „annodazumal“ war nicht alles besser, es war schlichtweg alles anders

Es hat unzählige Studien gegeben, die unterstreichen, dass die meisten Menschen sich zurück in die Vergangenheit sehnen. Zum Beispiel befragte die Bertelsmann-Stiftung im vergangenen Jahr 10.885 EU-Bürger in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und Polen zu eben diesem Thema: Die repräsentative Umfrage stufte 67 Prozent der Europäer als Nostalgiker ein, in Deutschland waren es 61 Prozent.

Zugleich gibt es ebenso viele Statistiken, die diesen „Nostalgie-Eindruck“ widerlegen. Der deutsche Ökonom Max Roser von der Oxford Universität beispielsweise hat im Jahr 2015 die Weltbevölkerung auf 100 Bürger heruntergerechnet und sich die Entwicklung der vergangenen 200 Jahre angeschaut. Sein deutliches Fazit: Die Welt ist heute besser, als viele glauben.

Auch wissenschaftlich wurde das Thema natürlich bereits von vielen Seiten betrachtet. 

Der Hamburger Professor Dr. Ulrich Reinhardt ist Zukunftswissenschaftler und wissenschaftlicher Leiter der „Stiftung für Zukunftsfragen – eine Initiative von British American Tobacco“. Für ihn ist klar: „Früher war nicht alles besser, es war schlichtweg anders.“ (Quelle: „Klartext“ bei www.xing.com)

Allzugern würden vergangene Zeiten glorifiziert, weiß Professor Reinhardt. Er hat auch eine simple Erklärung dafür parat: Je länger ein Ereignis im Leben zurückliegt, desto stärker überwiegen die positiven Erinnerungen, während negative Erlebnisse in den Hintergrund rücken. 

Ein Beispiel: Fußballfans und all diejenigen, die es im Fernsehen gesehen haben, werden sich ganz sicher ihr Leben lang an den 7:1-Sieg der deutschen Nationalmannschaft im Halbfinale der Fußball-WM 2014 gegen Brasilien erinnern. Beinahe rückt dabei in den Hintergrund, dass Deutschland am Ende auch Weltmeister geworden ist. Das Finale gegen Argentinien war eben lange nicht so spektakulär wie die Blamage der Brasilianer.

Laut Wissenschaftlern soll es ein allgemeines Phämomen sein: Wer an seine Kindheit zurückdenkt, erinnert sich hauptsächlich an die positiven Seiten. 

Psychologen vermuten darin einen wichtigen Effekt: Die Vergangenheit wird besser gesehen als sie tatsächlich war, um an der Gegenwart nicht zu verzweifeln. 

Ob dies gleich zu einer Glorifizierung der Vergangenheit führen muss, ist allerdings strittig. 

Klar ist nur, dass je „schlechter“ die aktuelle Lebenslage ist, umso schöner die Vergangenheit angesehen wird. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen entsprechend: Je weniger Perspektiven die eigene Zukunft bietet, desto mehr Gewicht erhält die Erinnerung an die Vergangenheit.

Das wusste übrigens sogar schon Aristoteles, der sagte: „Sie leben vom Gedächtnis anstatt von der Hoffnung, weil das, was ihnen vom Leben bleibt, wenig ist im Vergleich zur langen Vergangenheit.“

Definitiv ist aber heute alles besser als früher

Betrachtet man die alltäglichen Fakten, so ist die Aussage „Früher war alles besser“ schlichtweg falsch. Dazu reicht ein Blick auf die Bereiche medizinische Versorgung, Gleichberechtigung, Lebenserwartung, Bildung, Meinungsfreiheit oder Frieden. Unbestritten haben es die Menschen heute besser als vor einigen Jahrzehnten, wenn nicht sogar so gut wie nie zuvor.

Die Menschen leben länger (im Mittelalter war man im Alter von 35 Jahren tot) und das im Frieden (zumindest in westlichen Hemisphären), sie sind gesünder, haben mehr Möglichkeiten etwas zu unternehmen und sich zu verwirklichen und sind obendrein sogar intelligenter. 

Und auch die Nostalgie in finanziellen Dingen ist eine Verdrehung der Tatsachen. Denn natürlich hat vor 60 Jahren ein VW Käfer nur 4.400 D-Mark gekos-tet. Für einen VW Golf müssen hingegen heute rund 16.000 Euro hingeblättert werden. 

Es muss aber auch auf die äußeren Umstände geschaut werden. Denn in den 1950er Jahren lag der Durchschnittslohn viel tiefer: Für einen Käfer musste ein Facharbeiter früher 13 Monate lang sparen, während es für den Golf heute nur noch sechs Monate sind…  

Früher war nicht alles besser, manches schon

Mit der metaphorischen Überschrift „Früher war mehr Lametta“ endet das November-Thema des HELMSTEDTER SONNTAG. In den vergangenen Wochen wurde immer wieder darüber diskutiert, ob „annodazumal“ wirklich alles besser war als heute – wie es die Aussagen der häufig älteren Generation manchmal suggerieren. 

Da wurden ganz unterschiedliche Aspekte genannt, die den Lesern in den Kopf schossen. Zum Beispiel schrieb eine Leserin via Facebook: „Früher haben wir es tatsächlich geschafft zu überleben, obwohl die Geschäfte Sonnabend mittags zu machten und Montags erst wieder auf.“

Ein weiterer Leser sah es auf Facebook ebenfalls mit einem Augenzwinkern: „Früher war es übersichtlicher und nicht so schnelllebig und man war jünger und konnte mehr machen und es tat nicht gleich weh. Ich hatte früher keine Hörgeräte und keine Brille. Ach ja, früher war alles besser, so irgendwie.“

Aber es gab auch kritische Aussagen, wie diese: „Früher konnte eine Familie mit zwei bis drei Kindern vom Einkommen eines Hauptverdieners und dem Kindergeld überleben. Trotzdem war eine bescheidene Jahresurlaubsreise möglich. Man hatte aber auch nicht so große materielle Bedürfnisse. Man hat viel mehr improvisiert. Dadurch, dass meist eine Person für die Kinder Zeit hatte, bekamen sie mehr Alltagsfertigkeiten und überliefertes Wissen weitergegeben.“ 

Da zum Auftakt des Themas am 3. November die Dinge dargestellt wurden, die heute besser sind als früher, soll heute zum Ausklang geschaut werden, was tatsächlich früher besser war. Drei unterschiedliche Bereiche wurden dazu unter die Lupe genommen. 

1. Die Kommunen hatten viel mehr finanziellen Spielraum

Vor einigen Jahrzehnten, insbesondere vor der deutschen Wiedervereinigung, zahlten die (west)deutschen Kommunen vielfältige so genannte freiwillige Leistungen aus, bauten sich die schönsten, neuesten Einrichtungen und hatten am Ende des Jahres sogar noch Geld auf dem Konto. Die finanzielle Ausstattung der Kommunen hat in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gelitten. Bürgermeister und Räte beklagen allerorts, dass die Kassen leer sind. 

Das Geld, über das die Städte und Gemeinden verfügen können, kommt im Wesentlichen aus den drei Einnahmetöpfen     Gebühren und Beiträge, Steuereinnahmen sowie Finanzzuweisungen.

Steuern sind die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen. Die meisten Steuern nehmen Kommunen in Hessen, Bayern und Baden-Württemberg ein. Im Schnitt zahlt ein Bürger dort mindestens 1.100 Euro Steuern pro Jahr an die Kommunen. Im Osten Deutschlands ist das Steueraufkommen niedriger. Dort zahlt ein Bürger im Schnitt weniger als 900 Euro pro Jahr.

Das zeigt auch, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander geht in Deutschland. 

Entsprechend werden arme Kommunen ärmer und reiche immer reicher. 

Wer keine Steuern einnimmt, kann kein Geld ausgeben, folglich möchten sich weder Mensch noch Betrieb in einer „heruntergekommenen“ Kommune niederlassen. 

Es ist ein Teufelskreislauf, den es „früher“ nicht gab: Da war die Bevölkerung schlichtweg besser verteilt, ballte sich nicht in den Großstädten und „auf dem Land“ gab es genügend Gewerbesteuerzahler.

Es ist also tatsächlich so, dass die finanzielle Lage der Kommunen (insbesondere in der hiesigen Region) früher besser war. 

2. Es gab mehr Mitglieder und Ehrenamtliche

Um 1840 gründeten sich die ers-ten deutschen Sportvereine mit Satzung und allem, was dazu gehört. Sie erlebten einen Mitgliederboom. Unterbrochen durch die Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten Ende der 1930er Jahre, gründeten sich die Vereine nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder neu. 

Heute beklagen sie stagnierende Mitgliederzahlen, woran konkurrierende kommerzielle Angebote, aber auch etwa  Ganztagsschulen Schuld sind. 

Die Folge schwindender Mitgliederzahlen ist dementsprechend eine Abnahme an Personen, die bereit sind ein Ehrenamt zu übernehmen. 

Hinzu kommt, dass sich heute viele überlastet fühlen durch Beruf, Familie, Schule oder sonstiges und sich einfach nicht in der Lage sehen, ehrenamtliche Verantwortung zu übernehmen.

Früher waren die Menschen  stressresistenter. Das ist wissenschaftlich belegt. So stellte die Weltgesundheitsorganisation fest, dass es bei Depressionen seit 2005 weltweit eine Zunahme von 18 Prozent gibt. Depressionen sind Stressfolgeerkrankungen und werden von Experten schon als Volkskrankheit angesehen. 

Gestresste und depressive Menschen sind nicht in der Lage für andere da zu sein, deshalb ist das Engagement im Ehrenamt in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gesunken.

3. Es gab viel weniger Arbeitslose

Um eine bessere Arbeitslosenquote zu finden als die aktuelle, muss in der Geschichte weit zurückgegangen werden. In den 1960er Jahren war diese tatsächlich viel geringer. Aktuell liegt sie in Deutschland bei 4,8 Prozent. Der letzte bekannte Wert aus Ostdeutschland vor der Wende ist eine Quote von 0,1 Prozent, die für 1960 festgehalten wurde. Zugleich lag in diesem Jahr die Quote in Westdeutschland bei 1,3 Prozent und verringerte sich in den Folgejahre sogar noch bis auf 0,7 Prozent (bis 1970). 

Allerdings ist bei der Betrachtung der Arbeitslosenzahlen darauf zu achten, welchen Zeitraum man als „früher“ bezeichnet. Denn nach der Wende stieg die Arbeitslosigkeit rapide an – im vereinten Deutschland, aber vor allem im östlichen Bereich der Bundesrepubik. Die höchste Quote in Ostdeutschland steht für das Jahr 2005 im Geschichtsbuch, als sie 20,6 Prozent betrug. Im Westen des Landes erreichte sie in dem Jahr ebenfalls ihren Höchststand von glatten elf Prozent. Für die gesamte Bundesrepublik bedeutete dies eine Arbeitslosenquote von 13 Prozent im Jahr 2005. 

Die These „früher gab es weniger Arbeitslose“ ist also mit Augenmaß zu betrachten…

KOLUMNEN zum Monatsthema

Dankbare Bürger

Unser Monatsthema „Früher war mehr Lametta“ verfolgt mich regelrecht. Und das ist auch gut so. In vielen Situationen überlege ich, ob das Szenario früher besser war oder ich froh sein kann, dass alte Zeiten abgehakt sind. 

In den sozialen Medien haben einige Leser bereits herausgestellt, dass es natürlich auch Dinge gab, die früher angenehmer, schöner waren, aber hinsichtlich des gestrigen Jubiläumstages muss ich noch einmal daran erinnern, dass im Großen und Ganzen die heutigen Zeiten bessere sind.

Der 9. November ist in der Geschichte unseres Landes freilich nicht nur ein Jubeltag, an dem die Mauer fiel: Die Reichspogromnacht, der Hitlerputsch und die Novemberrevolution fielen auf den 9. November und machen deutlich, dass es ein Schicksalstag der Deutschen ist. Er symbolisiert die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft, aber zugleich den Weg in die Verbrechen des Dritten Reiches. 

Es ist ein Tag, der gestern vielen früheren DDR-Bürgern Anlass gegeben hat, dankbar zu sein, dass Deutschland wiedervereint ist und sie in einer Demokratie leben. Denn für die Menschen in der DDR sind heute bessere Zeiten angebrochen: Sie leben in Freiheit, Menschlichkeit, Redefreiheit und Toleranz. Sie müssen sich nicht mehr fürchten vor Spitzeleien, Quälereien an Staatsflüchtlingen, Toten an der Mauer und so vielem mehr!

Das war besser

Einen Punkt aus dem Alltag habe ich entdeckt, der im Hinblick auf unser Monatsthema früher besser war als heute: das persönliche Miteinander. 

Ist Ihnen schonmal aufgefallen, dass man sich heutzutage bei einem Treffen „Auge in Auge“ manchmal gar nichts mehr zu erzählen weiß, wenn alle Neuigkeiten vorher schon via soziale Medien, WhatsApp und SMS ausgetauscht wurden? 

Im gläsernen Alltag wissen wir alles voneinander: Wo war der Nachbar gerade im Urlaub, was hatte der Freund zum Mittagessen, wer hat sich neu verliebt, verletzt oder scheiden lassen…

Wenn wir dann persönlich aufeinandertreffen, wird gar nicht mehr gefragt „Wie war dein Tag, was gibt es Neues?“, sondern direkt auf das zuvor in den sozialen Medien Gelesene eingegangen.

Eine Begrüßung fällt dann unter Umständen mal so aus: „Hi, was macht deine Verletzung?“ oder „Hallo, warum habt ihr euch denn getrennt?“ oder „Grüß dich, da hattest du aber eine tolle Reise!“. 

Für Außenstehende muss das unheimlich merkwürdig klingen, aber auch als Insider kommt mir das immer etwas komisch vor. Der Nachteil ist am Ende, dass der Gesprächsstoff ausgeht, wenn es nichts Neues mehr zu berichten gibt. Und das ist schade. 

Denken wir mal 15, 20 Jahre zurück: Was gab es da alles zu erzählen, wenn man sich zum Bier in der Kneipe traf! Bis in die Morgenstunden wurde geklönt, um alle Neuigkeiten auszutauschen!

Chefredakteurin at Helmstedter Sonntag | + posts

Katja Weber-Diedrich, geboren 1976 in Helmstedt, ist seit fast 30 Jahren Lokaljournalistin durch und durch. Der Legende nach tippte die ehrenamtlich Engagierte vor 25 Jahren den ersten HELMSTEDTER SONNTAG an einer Bierzeltgarnitur. Sowohl die Tiefen der deutschen Grammatik als auch die Wirren der Helmstedter Politik sind der Chefredakteurin nicht fremd; ihr Markenzeichen sind ehrliche Kommentare und Hartnäckigkeit.