Im Monatsthema Juni geht es um das Paradoxon der Verschwendung.
Teil I: Monatsthema Juni: Paradoxon der Verschwendung – Was braucht ein Mensch für ein erfülltes Leben? Florian Hornig ging 650 Kilometer durch die Sahara, um eine Antwort zu finden
(erschienen am 6. Juni 2021)
„Wenn das Leben in einen Rucksack passen müsste, was würden Sie einpacken?“ Diese Frage stellt Florian Hornig seinen „Schützlingen“ direkt zu Beginn eines jeden Gesprächs. Und diese Frage ist es, die er sich selbst vor zehn Jahren stellte. Damals, so berichtet er rückwir-kend, hatte er eigentlich alles, was es konventionell anzustreben gilt. Sein erstes Unternehmen gründete er kurz nach dem Abitur in Köln. Mit 24 Jahren wechselte er nach Berlin, um als Headhunter in der Finanzindustrie zu arbeiten. Doch der wachsende Erfolg brachte ihm nicht die erhoffte innere Befriedigung. „Ich bin den Weg gegangen, von dem ich dachte, dass er von mir erwartet wird. Und egal wie groß das Erreichte war, ich hatte das Gefühl, mehr zu wollen.“ Und dann lag 2013 auf einmal alles bisher Erreichte wie ein Scherbenhaufen vor ihm. „Das war die größte Krise meines Lebens, sowohl beruflich als auch privat“, sagt Hornig über die Zeit, in der er sich gezwungen sah, sein Leben zu überdenken. „Alles zu verlieren, wofür ich davor dachte, arbeiten gehen zu müssen, gab mir die Freiheit, mich noch einmal neu zu erfinden. Jetzt war eh alles egal und ich dachte, jetzt kann ich machen, was ich will. Egal was die anderen denken.“
„In der Wüste habe ich mich selbst gefunden“
Florian Hornig entschied sich für eine radikale Entgiftungskur und ließ alles hinter sich, was sein Leben bislang prägte. Er packte einen Rucksack und wanderte durch die Wüstenlandschaft der Sahara, 650 Kilometer zu Fuß von der letzten Oase in Marokko quer durch das Land bis zum Atlantik. Dabei sammelte er ganz nebenbei Spenden für ein Kinderhilfswerk in Tansania, das ein Freund von ihm ehren-amtlich führt. Seinen Weg dokumentierte er über ein soziales Netzwerk und ließ somit Tausende Menschen an seinem Weg zum persönlichen Glück teilhaben. Die Zeit alleine nur mit seinen Gedanken und die beeindruckende landschaftliche Kulisse der Leere um sich herum, die doch so viel Schönheit offenbarte, wie Hornig schnell erkannte, brachte ihm gleich mehrere Erkenntnisse. Erstens: „Indem ich mich nur an mir orientiert habe, konnte ich Passion, Begeisterung und Emotionen finden, die ich davor nicht kannte. Damit wollte ich andere anstecken.“ Zweitens: Seinen Job als Headhunter wollte er nicht mehr ausüben – zumindest nicht mehr so, wie bisher. „Ich wollte Menschen helfen, den für sie richtigen Job zu finden und nicht den Unternehmen, den für sie willigsten Arbeitnehmer.“ Drit-tens: 80 Prozent der Dinge, die ihn antrieben und sein Leben ausmachten, waren überflüssig. Ballast im Rucksack des Lebens, wenn man es philosophisch mag. „In der Wüste habe ich die Einfachheit schätzen gelernt und zu meinem neuen Lebensmotto gemacht.“ Als Hornig am Atlantik ankam, hatte er zum ersten Mal das Gefühl, bei sich selbst angekommen zu sein. Er ging nicht in sein altes Leben zurück, sondern reiste ein Jahr lang mit einem 44 Jahre alten Wohnmobil durch Marokko und Europa. Seit 2014 wohnt er in der Schweiz und auf Sansibar, wo er eine kleine Lodge betreibt. Er ist seitdem der „Glücklichtrainer“, mit eigenem Blog (www.simplicity-of-happiness.com) und Podcast, wo er seine Suche nach dem Glück mit anderen teilt. Zeitgleich hält er Seminare und bietet individuelle Wüstenführungen an. Dabei ist die Erkenntnis der Teilnehmer beinahe immer genau die, die er selbst aus der stillen Weite gezogen hat: Es sind die kleinen, die einfachen Dinge des Lebens, die glücklich machen. Die, die eben auch in einen Rucksack passen würden, wenn wir denn gezwungen wären zu selektieren. Ist das einfache Leben, so wie es der Glücklichtrainer vermittelt, also per se das bessere Leben? Ist die konsumgetriebene Lebensführung etwa eine Verschwendung von Ressourcen? Und die uns antreibende Gier nach Statusprodukten, nach Luxus, nach Konsumgütern nichts anderes als ein Versuch, die eigentlichen Lücken in unserem Leben zu schließen?
Ist Verschwendung immer nur schlecht?
Dieser Ansatz wird (mittlerweile) allgemein unterstützt und verdeutlicht das aktuell vorherrschende gesellschaftliche Verständnis von Verschwendung. Verschwendung ist verdammt (Till J. Hoffmann, Philosophie, Soziologie, Ökonomie des Überflusses). Wo früher gerne geprotzt wurde und Verschwendung als materieller Überfluss eine Etikette der Oberschicht war, zeigt sich die „Elite“ heute bescheiden und schlicht. Geprotzt wird nicht mehr mit Gütern, sondern mit Bildung und moralischen Werten. Doch ist Verschwendung tatsächlich immer nur schlecht? Der Mensch braucht den Konsum, um sich selbst zu definieren und zu präsentieren. Um das Gerüst sind erfolgreiche Wirtschaftssysteme aufgebaut, Produktivität und Leistungsteigerung leben vom Überfluss und brauchen einen verschwenderischen Absatz. Verschwendung in all ihren Facetten soll in diesem Monat als Thema beleuchtet werden – nicht nur als philosophische Lebensweisheit, sondern auch aus wirtschaftlicher und ökologischer Sicht. Wie definiert sich Verschwendung? Welche Folgen hat Maßlosigkeit auf die Gesellschaft? Lässt sich Überproduktion verhindern? Und wenn ja, welche Konsequenzen hätte dies auf die Wirtschaft, deren Wachstum maßgeblich von Konsumdrang und der damit einhergehenden Verschwendung angetrieben wird? Wenn Einfach wirklich besser ist, wie sähe dann eine Lösung sowohl im persönlichen Bereich als auch staatlich angepasst aus?
Teil II: Ein Streifzug durch die maßlose Herrlichkeit – Wann Gönnen zu Protzen wird und wieso das Sonnenkönig-Kostüm nicht jedem steht
(erschienen am 13. Juni 2021)
Es war einmal ein wohlhabener Mann. Der hatte zwei Söhne. Der jüngere der beiden verlangt von seinem Vater sein Erbe. Das war zur damaligen Zeit bereits zu Lebzeiten der Eltern möglich, wenn auch vielleicht etwas anstößlich. Dem Erstgeborenen standen in der Regel zwei Drittel des Vermögens (inklusive Haus und Hof ) zu. Der jüngere Sohn hatte indes die Möglichkeit, sich mit der Auszahlung seines Anteils eine neue Existenz fernab der Heimat aufzubauen. Genau dies macht auch der jüngere Sohn. Er nimmt seinen Anteil und zieht fort, im Ausland lebt er in Saus und Braus, verprasst sein Geld, bis ihm nichts mehr zum Leben bleibt. Reumütig kehrt er nach Hause zurück. Und was macht sein Vater? Er belehrt nicht, er tadelt nicht, er lässt seinen Sohn noch nicht mal erklären, was er mit dem Geld angestellt hat. Stattdessen freut er sich so sehr über seine Rückkehr, dass er ihn fürstlich einkleiden und ihm zu Ehren ein Fest ausrichten lässt. Das Gleichnis „Der verlorene Sohn“ ist ein beliebter Predigttext der Kirche, verdeutlicht er doch gut die zentralen Themen des Verlorengehens und des Wiedergefundenwerdens, erzählt aber auch von Güte und (Un)Gerechtigkeit. Besonders deutlich wird das in der Reaktion des älteren Bruders, der seinen Vater nie verlassen hatte, der brav seinen Pflichten nachgegangen ist und sich an die Regeln gehalten hat. Er kann die Freude über die Heimkehr des kleinen Bruders nicht teilen und empfindet Eifersucht, wird dafür von seinem Vater getadelt.
Hat der Bursche nicht schon genug verschwendet?
Doch sind diese Gefühle nicht verständlich? Zumindest aus der heutigen Sicht und ohne Wissen über den sozialhistorischen Hin-tergrund bietet die Parabel eher Boden für Kritik, statt eines Aha-Effekts: Wie unverschämt von dem Sohn, Geld zu verlangen und es dann auch noch ohne Plan und Vernunft zu verprassen. Und was ist in den Vater gefahren, der dem Abkömmling zu Ehren sogar ein Kalb schlachtet? Als ob der Bursche nicht schon genug verschwendet hätte…! Wo bleibt da die pädagogisch wertvolle Lehre? Wird uns nicht eher Wertschätzung beigebracht? Und sollten wir unseren Kindern nicht einen vernünftigen Umgang mit den uns zur Verfügung stehenden Gütern vorleben? Doch andererseits: Was ist aus „nach den Sternen greifen“, womit der Nachwuchs zu „Höherem“ beflügelt werden sollte, geworden? Was soll der Mensch anfangen mit seinen Möglichkeiten, die zwar zum Greifen nah und doch gewissenhaft und umsichtig gebraucht werden sollen?
In Pracht und Herrlichkeit
Genügsamkeit scheint das neue Schlüsselwort für ein vollendetes Leben. Wobei; richtig neu ist der Ansatz nicht, immerhin gilt Maßlosigkeit seit jeher als Sünde. Lediglich dem Klerus und dem Adel waren Verschwendung vorbehalten. Mehr noch: Es war die Pflicht der Elite, Reichtum und Herrlichkeit zu präsentieren. Der Adel demonstrierte damit sein Gottesgnadentum, wohingegen die Kirche selbst in ihrer Pracht das Paradies zu spiegeln versuchte, das sich alle anderen noch verdienen mussten. Reichtum war ein Zeichen für Macht und ein wichtiges Mittel zur Kontrolle. Der Sonnenkönig, Ludwig XIV., ist auch heute noch als personifizierte Verschwendung bekannt. Er nutzte den Prunk, um seine Stellung als absolutistischer Monarch zu festigen, den Adel an sich zu binden, Politik zu neutralisieren. Doch nach seinem Tod war Frankreich am Ende, die Blase zerplatzte und die Bevölkerung stürzte in tiefes Elend.
Ohne Verschwendung gäbe es kein Weihnachten
Ein weiterer Beleg für die negativen Folgen der Verschwendung. Dabei würde es ohne den Son-nenkönig kein Schloss von Ver-sailles – zur heutigen Zeit ein Fall für den Bund der Steuerzahler – geben, allerdings auch keine Französische Revolution und nicht die Demokratie, wie sie uns heute prägt. Unter Ludwigs Herrschaft erfuhren Künste, Kultur und Wissenschaft ihre Blütezeit, das Land schaffte es an die Spitze Europas. Und auch heute entsteht aus Verschwendung Schönes. Ohne Maßlosigkeit gäbe es keinen ausufernden Kindergeburtstag, kein Weihnachten, keine zwei Wochen Urlaub im Jahr, in denen Geld keine Rolle spielt. Auch die Kunst an sich ist der Verschwendung entwachsen, ganze Industriezweige wie die Mode- und die Automobilbranche sowieso.
Die Illusion muss stimmen
Verschwendung, eine Weiterführung des althochdeutschen Verbs firswend/ten, meint ursprünglich „etwas verschwinden lassen“ und damit das Gegenteil von Wertschöpfung oder auch Effizienz. Das Paradoxon liegt darin, dass beides einzig durch das jeweilige Gegenstück funktionieren kann. Verschwendung unterscheidet das Alltägliche vom Besonderen und ist damit unser aller Antrieb. Schon zu Kriegszeiten waren die Menschen sehr erfinderisch, wenn es zu Weihnachten darum ging, Fett aufzutreiben, um Kekse zu backen. Und in Regionen mit einer ausgeprägten Kluft zwischen Unter- und Oberschicht erfreuen sich Markenprodukte einer besonderen Nachfrage. Und wer sich kein Original leisten kann, stattet sich im nächsten Türkei-Urlaub kurzerhand mit entsprechenden Fälschungen aus, so wie auch früher schon, wo das Geld für eine prachtvolle Verkleidung nicht ausreichte, Gips so bemalt wurde, das er wie Marmor wirkte. Die Illusion muss stimmen. Dies alleine ist nicht verwerflich. Egozentrisch wirkt sie erst, wenn der Überfluss wahrhaftig und alltäglich ist. Damit scheint der Anspruch des Gönnens obsolet, macht den Verruf aber gleichzeitig auch heuchlerisch.
Teil III: Ein 4.501 Kilometer langer Konvoi an Essen – Maximale Auswahl, minimaler Preis: Verschwendung entsteht dort, wo es an Wertschätzung fehlt
(erschienen am 20. Juni)
Verschwendung hat auch etwas Gutes, so der Tonus des Beitrags zum Monatsthema „Paradoxon der Verschwendung“ in der ver-gangenen Ausgabe. Der schlechte Ruf hat sich erst in den vergangenen Jahrzehnten, vor allem seit der Jahrtausendwende, in den Köpfen der Menschen manifestiert.
Das Besondere von früher ist das neue Alltägliche
War vormals maßloses Verhalten nur den wenigsten gegönnt, muss heute kaum noch jemand auf etwas verzichten. Während früher der eigene Luxus gerne zur Schau gestellt wurde, um sich von der Masse abzuheben, ist mittlerweile ein finanzieller Unterschied kaum noch auf den ersten Blick festzustellen. Die Menschen leben im Überfluss, alles scheint unbegrenzt für jeden jederzeit zur Verfügung zu stehen. Dies wird im Alltag vor allem hinsichtlich der Lebensmittel deutlich. In den Supermärkten reihen sich exotische Früchte neben Gemüse in zehnfacher Ausführung pro Sorte. Milchprodukte gibt es in der Naturversion, mit Geschmack, mit wenig bis gar keinem Fettanteil, als vegane sowie als laktosefreie Variante. Die Fleischtheke bietet Produkte jeder Haltungsform und in unbegrenzten Geschmacks- und Preisklassen. Ganz abgesehen von den ausladenden Regalen, wo Backwaren ganz ohne Hefe und Weizen längst zum Standardequipment gehören.Wer zum Grillbuffet vegane Hackröllchen gefüllt mit Soja-Feta neben Kobefleisch anbietet und zum Nachtisch eine Trüffel-Vanille-Parfait mit flambierten Acerolakirschen reicht, dem ist längst kein Beifall der Gäste mehr sicher. Das Besondere ist schon lange zum Alltäglichen geworden – der Massenproduktion sei Dank. Wo Lebensmittel ständig zu einem sehr geringen Preis verfügbar sind, ist es nicht verwunderlich, dass die Wertschätzung für dieses Gut verloren gegangen ist. Laut der Verbraucherzentrale sinken die Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittel in Deutschland seit Jahrzehnten deutlich: 1950 wurde 50 Prozent des Haushaltsauskommens in Lebensmittel investiert (und das trotz einer hohen Selbstversorgung), aktuell liegen die Ausgaben nur noch bei knapp zehn Prozent. Dabei haben sich die Ausgaben stark auf die Außer-Haus-Verpflegung verschoben und liegen seit 2020 bei fast 40 Prozent der Gesamtausgaben. Für die Verbraucherzentrale führt dies in der Konsequenz zu einer Abnahme an Kenntnissen und Kompetenzen der Lebensmittelauswahl. Entsprechend landet immer mehr Essen im Müll. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft beziffert die Menge der Lebensmittelabfälle auf zwölf Millionen Tonnen pro Jahr. Um diesen Abfall zu transportieren, wären 480.000 Sattelschlepper notwendig, die in einer Reihe gestellt, eine Strecke von Lissabon nach St. Petersburg blockieren würden. Das sind 4.501 Kilometer, für die ein Pkw-Fahrer 47 Stunden bräuchte, um diesen Konvoi an Lebensmittelresten zu passieren.
Der meiste Müll entsteht in privaten Haushalten
Mit drei Millionen Tonnen pro Jahr schmeißen Supermärkte ziemlich viele Lebensmittel weg, getoppt noch von Betrieben wie von Bauernhöfen, Geschäften, Restaurants und Cafés. Sie vernichten etwa „zweibeinige“ Möhren, krumme Gurken oder Knubbel-Kartoffeln, weil das „hässliche“ Gemüse niemandem in die Tüte kommt (www.geo.de/geolini/NaturundUmwelt; Lebensmittelverschwendung – so viel wirft jeder von uns weg). Was aber viele nicht wissen: Die meisten Lebensmittel landen in privaten Mülltonnen. Jeder deutsche Verbraucher wirft pro Jahr 75 Kilogramm an Essensresten weg, insgesamt produzieren die privaten Haushalte mit über sechs Millionen Tonnen über 50 Prozent der gesamten Lebensmittelabfälle. Interessant dabei ist, welche Lebensmittelkategorien am häufigsten im Müll landen. Laut einer weltweiten Studie der WWF liegen Früchte und Gemüse mit 42 Prozent Abfallanteil auf dem ersten Platz, mit 22 Prozent folgt Getreide auf dem zweiten Platz. Weltweit werden jährlich 347 Tonnen davon weggeworfen. Diese Wegwerfroutine bezeich-net die WWF als eine „Ressourcenverschwendung von ungeheurem Ausmaß“.
Restlos-Gluecklich: Zukunftsprojekt der Genusswerkstatt
Ebenso sehen dies die Schüler der Genusswerkstatt Wichernschule in Königslutter, die sich seit knapp einem Jahr mit dem Thema Lebensmittelverschwendung beschäftigen. Dabei wurden als Hauptgründe für die Verschwendung das Ablaufdatum genannt sowie schlechte Einkaufsplanung, mangelnde Absprachen, unregelmäßige Arbeits- und Essenszeiten, Schwierigkeiten beim Abschätzen der benötigten Menge und fehlende Planung einer Resteverwertung. Anstoß war die Teilnahme an einem Wettbewerb des Land-wirtschaftsministeriums. Seit den anfänglichen Fragen „Wieso werden Lebensmittel weggeworfen?“ und „Was kann dagegen getan werden?“ hat das Schülerprojekt eine beeindruckende Tiefe erreicht. Gemeinsam wurde sogar ein Blog erstellt. „Restlos-Gluecklich“ gibt Alltagstipps, wie sich Müll vermeiden lässt, und veröffentlicht regelmäßig Rezepte, die sich ausschließlich der Resteverwertung widmen. Denn die Verschwendung von Lebensmitteln ist sowohl ein ökologisches – der Anbau, die Ernte sowie der Transport bis zur Lagerung geht mit enormen Energieaufwand einher – als auch ein ökonomisches Problem: Die RaboDirect Sparstu-die ermittelte das Sparpotenzial einer vierköpfigen Familie, die keine Lebensmittel mehr verschwendet, auf 940 Euro. Hingegen schätzten die Probanden selbst die Kosten für die Lebensmittelabfälle auf 50 bis maximal 100 Euro pro Jahr.
Teil IV: Ziel ist der Weg aus der Masse: „Das grüne Shirt gibt es nicht“ – Fataler Trend Fast Fashion: Zum Abschluss der Monatsreihe geht es um die Kosumverschwendung und die Missstände in der Textilndustrie
(erschienen am 27. Juni 2021)
Nicht nur die Protestbewegung „Fridays for Future“ hat es offenbart: Jeder Einzelne kann etwas dazu beitragen, Klimaschutz eine angemessene Bedeutung zukommen zu lassen. Wer nachhaltig leben möchte, seinen ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich halten will, dem werden vielerlei Wege aufgezeigt: Das Auto stehen lassen und mehr mit dem Rad fahren, Flugzeuge und Schiffe als touristische Transportmittel komplett meiden, weniger und bedachter Fleisch zu konsumieren, Plastikmüll zu reduzieren und sogar, wie es Chefredakteurin Katja Weber-Diedrich vorlebte, Fastenwochen, in denen versucht wird, komplett auf Eingepacktes zu verzichten, in sein Leben einzubauen. Insbesondere hinsichtlich des Einkaufsverhaltens gibt es zahlreiche ökologische Stolperfallen, die sowohl der Bequemlichkeit als auch eingefahrener Verschwendung geschuldet sind. Wie sieht es da mit der Mode aus? Die Textilindustrie ist welt-weit eine der wichtigsten Wirtschaftsbranchen; alleine in Deutschland erwirtschaften 1.400 Unternehmen einen jährlichen Umsatz von über 30 Milliarden Euro und beschäftigen 135.000 Mitarbeiter. Dabei läuft der Großteil der Produktion im Ausland, vor allem in Asien ab. Und genau an diesem Punkt ist der negative Ruf verankert, der von der Öffentlichkeit hauptsächlich an niederen Arbeitsbe-dingungen, Hungerlöhnen und Kinderarbeit festgemacht wird. „Eigentlich weiß doch jeder, dass an einem Shirt, welches neu für unter fünf Euro erworben werden kann, Blut klebt“, prangert Viola Wohlgemuth an. Die 35-jährige approbierte Pharmazeutin ist „gefühlt mein ganzes Leben ehrenamtlich für Greenpeace tätig“, seit 2018 aber offiziell als Chemie-Kampaignerin in der Greenpeace-Detox-Kampagne an Bord. Ihr Steckenpferd ist Nachhaltigkeit in der Textilindustrie, die es de facto jedoch nicht zu geben scheint – trotz aller Öko- und Fair Trade-Zertifikate sowie grünen Kampagnen der großen Konzerne. „Das grüne Shirt gibt es nicht“, so Wohlgemuths Meinung. Von den schädlichen bis giftigen Substanzen, die bei der Produktion von Textilien freigesetzt werden, über den enormen Wasserbedarf bei der Herstellung von Baumwolle bis zum Transport werden enorme Ressourcen verschwendet. Laut Europäischer Umweltagentur sei die Textilindustrie einer der Sektoren, der sich am schädlichsten auf die Umwelt und Landnutzung auswirke und am meisten Kohlenstoff ausstoße.Das schlimmste, so Greenpeace, sei aber der Konsum. Pro Jahr kauft der durchschnittliche Deutsche sechzig Kleidungsstücke, die er lediglich 1,7 mal trägt. Vieles wird gänzlich ungetragen weggegeben. Tatsächlich recycelt werden höchsten 15 Prozent der Textilien, satte 50 Prozent werden hingegen geschreddert oder gar verbrannt – sogar von den Unternehmen selbst, da ein Verschenken überschüssiger Ware zu teuer wäre. Der Deutsche Naturschutzring geht gar davon aus, dass 73 Prozent der per anno 150 Milliarden produzierten Textilien auf der Deponie landen. Den einzigen sinnvollen Ausweg aus der Fast Fashion-Misere sieht Wohlgemuth in dem Ausbau von Second Hand-Angeboten. Diesbezüglich wäre Corona extrem hilfreich gewesen, um das Bewusstsein für „Tauschen, Leihen, Neuauftragen anstelle des Neukaufs zu schärfen“. Das kann auch Markus Böck, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Kleiderstiftung Spangenberg, bestätigen. Seit 60 Jahren sammelt und verteilt die gemeinnützige Organisation gebrauchte und neue Kleider. Mittlerweile kommen an die 3.000 Tonnen Kleidung pro Jahr am Magdeburger Tor in Helmstedt an, wo die Ware sortiert wird. Welche Ausmaße das sind, wird erst deutlich, wenn man das Lager der Kleiderstiftung betritt, wo sich gefühlt Tausende Kartons bis an die Decke stapeln. Böck kann bestätigen, dass die Sendungen in den vergangenen Jahren und vor allem zu Corona enorm zugenommen haben. Während des ersten Lockdowns seien die Spendenpakate in einer so engen Häufigkeit eingetroffen, dass seitens der Organisation sogar ein Stopp angeordnet werden musste, da die Mitarbeiter nicht mehr mit dem Sortieren hinterher kamen. Dennoch wird die Bereitschaft, Mode (und tatsächlich zuneh-mend immer mehr Neuware) zu spenden, als grundsätzlich positiv bewertet. „Mit der Kleidung wird Menschen aus ärmeren Schichten Würde erhalten“, erklärt Böck. Der Großteil der Ware geht nach Osteuropa, speziell in die Ukraine. Neuwertige Ware wird im Charity-Shop „Zweimalschön“ zum Verkauf angeboten. Mit den Einnahmen können die Hilfsprojekte überhaupt erst finanziert werden. So schließt sich der durchaus verschwenderische Kreislauf in diesem Fall sinnvoll.
Katharina Loof, geboren 1980 in Nordrhein-Westfalen, begann ihre journalistische Tätigkeit im Kölner Raum, bevor sie 2010 nach Schöningen zog. Die dreifache Mutter mag Dorf-Klüngel und Pflastersteine auf vollen Marktplätzen. Am Lokaljournalismus schätzt die Esbeckerin die Nähe zum Menschen. Die Karnevalistin tritt gerne mal zu stark auf’s Gas: sowohl im Fahrzeug als auch bei der Freigabe der Autokorrektur.