Diesmal geht es um die Frage, inwieweit und ob Kinder an den Folgen der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen leiden.

von Katharina Loof

Immer wieder warnen Experten wie Kinderärzte, Psychologen sowie auch pädagogische Fachkräfte vor den psychischen Langzeitfolgen, die die coronabedingten Einschränkungen für die jüngere Generation zur Folge hätten. Von dem versäumten Schulstoff einmal abgesehen, wäre es vor allem die Isolation, die Kinder und auch Jugendliche nur schlecht verarbeiten könnten. Hinzu kämen Bewegungsmangel sowie ein enorm gesteigerter Medienkonsum, mit dem nicht selten der Mangel an Aktivitätsalternativen versucht werde zu kompensieren.

Kinder in oder als Gefahr?

Zu befürchten sei, dass sich die gängigen Schutzmaßnahmen wie Social Distancing und auch der Schulschließungen mittel- und langfristig negativ auf die kindliche Entwicklung und auf das Werteverständnis auswirken könnte, heißt es aus einer Stellungnahme der Uni Tübingen. „Dass die aktuelle Situation für Kinder in besonderem Maße verwirrend und belastend ist, und dass die implizit erfolgende Zuschreibung von Täterschaft (Kinder als Gefahr) und die daraus erfolgte Konsequenz der Bestrafung (Hausarrest) das Selbstwertgefühl der Kinder bedrohen könnten, kann wohl kaum bestritten werden.“
Auf der anderen Seite werden vor allem die jüngsten der Gesellschaft für ihr vorbildliches Mitmachen und eine bedingungslose Akzeptanz der geltenden Regeln gelobt.
Die pädagogische Expertin und Autorin zahlreicher Elternratgeber Nora Imlau möchte die Angst nehmen, dass die Verbote bei Kindern nachhaltigen Schaden hinterlassen könnten: „Die kindliche Seele zerbricht nicht so schnell, sie sucht sich stets Wege, das zu finden, was sie braucht.“ Und: bis zum dritten Lebensjahr lebten Kinder in einer Symbiose mit den Eltern und bräuchten keine anderen Bezugspersonen. Auch danach sei ein Ausnahmezustand über Wochen oder Monate kein Problem. „Es gibt viele Eltern, die vor dem Schulstart ihres Kindes eine Reise über mehrere Wochen planen. Da kam bisher auch niemand auf die Idee, einen kindlichen Entwicklungsstopp zu befürchten“, sagte Imlau in einem Interview mit der Familienwebseite „Leben und erziehen“.

Was Kinder brauchen, um glücklich zu sein

Also: wie groß ist tatsächlich die Gefahr eines Corona-Knacks für die Kinder? Um das zu beantworten, ist es hilfreich, zu wissen, was Kinder grundsätzlich für eine gesunde und glückliche Entwicklung brauchen. Laut dem amerikanischen Kinderarzt T. Berry Brazelton und dem Kinderpsychiater Stanley Greenspan gibt es sieben Grundbedürfnisse, deren Befriedigung für eine glückliche Kindheit erfüllt werden sollten:
1. Das Bedürfnis nach beständigen liebevollen Beziehungen; 2. Das Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit und Sicherheit; 3. Das Bedürfnis nach individuellen Erfahrungen; 4. Das Bedürfnis nach entwicklungsgerechten Erfahrungen; 5. Das Bedürfnis nach Grenzen und Strukturen; 6. Das Bedürfnis nach stabilen und unterstützenden Gemeinschaften; 7. Das Bedürfnis nach einer sicheren Zukunft für die Menschheit.
Können die genannten Grundbedürfnisse trotz Corona aufrecht erhalten werden?

Aufgabe der Eltern sei es, Sicherheit zu vermitteln

Ja, sofern die Eltern die Lücken schließen und trotz Mehrfachbelastung weiterhin Sicherheit ­signalisieren. Denn Schuld hat keiner, auch nicht das Virus, dass nur wahllos herumschwirrt.
Medial wird längst schon über den Zusammenhang zwischen stabilen Familienverhältnissen und den anhaltenden Einschränkungen diskutiert. Von der erschreckend angestiegenen Fallzahl an häuslicher Gewalt abgesehen, leiden Kinder vor allem immer dann, wenn ihre Eltern leiden. So sagt die klinische Psychologin Kathrin Hulak: „Angst ist anste­ckender als das Virus. Kinder lernen vom Modell und übernehmen das Verhalten von Erwachsenen.“ Wichtig sei es, ehrlich die Fakten zu vermitteln und immer zu verdeutlichen, dass man als Erwachsener für das Kind da sei. Dies bestätigte auch Dr. Susanne Goering. Der HELMSTEDTER SONNTAG sprach mit der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychiotherapie aus Helmstedt über mögliche Folgen des Lockdowns auf die kindliche Entwicklung.

„Diese Zeit bietet Chancen“

Die Expertin hält nichts davon, den Fokus einzig auf das Negative zu richten. „Über die Belas­tungen und potenzielle Folgen ist vielfach gesprochen worden“, sagt Goering. Vielem davon könne sie zustimmen. Aber: „Diese Zeit bietet auch Perspektiven; die Chance, enger zusammenzurücken und zusammenzuhalten, gemeinsam etwas Neues auszuprobieren.“ Kurz gesagt, der Fokus sollte darauf liegen, was (der­zeit) möglich ist. Dies gelinge, wenn das Gemeinsame als Geschenk betrachtet werden kann, lautet ihre Empfehlung an Familien. Kinder wollen sich behütet fühlen, betont die Ärztin der „Kinderpsychiatrischen Praxis am Bahnhof“ in Helmstedt. „Wenn wir in 20 Jahren zurück blicken, dann ist es die Zeit, die als Familie verbracht wurde, die prägend ist.“ Daran soll kein Aus­nahmezustand rütteln dürfen.

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Katharina Loof, geboren 1980 in Nordrhein-Westfalen, begann ihre journalistische Tätigkeit im Kölner Raum, bevor sie 2010 nach Schöningen zog. Die dreifache Mutter mag Dorf-Klüngel und Pflastersteine auf vollen Marktplätzen. Am Lokaljournalismus schätzt die Esbeckerin die Nähe zum Menschen. Die Karnevalistin tritt gerne mal zu stark auf’s Gas: sowohl im Fahrzeug als auch bei der Freigabe der Autokorrektur.