Dieses Mal geht es um die Behauptung, dass wenn alle Pharmaunternehmen einen Impfstoff produzieren würden, die Corona-Pandemie rasch vorbei wäre.

von Katharina Loof

Ein Gedankenspiel beschäftigte die Redaktion die vergangene Woche und zog interne Diskussionen und zahlreiche Anfragen mit der Bitte um Hintergrundinformationen nach sich. Vorausgegangen war ein Leserbrief, in dem die Herstellung des aktuell dringend benötigten Covid-19-Impfstoffes mit der Autoproduktion gleichgesetzt wird. Die Leserin stellte die These auf, dass doch theoretisch alle Autohersteller in der Lage seien, ei-nen bestimmten Wagentyp auf Anfrage nachzubauen. Erst recht, wenn dieser speziellen Standards entspräche, die für das Allgemeinwohl unabdingbar seien. „Und jetzt nehmen wir mal an, es gäbe diesen einen Impfstoff, den alle für gut befinden – und alles wäre wieder gut. Warum produzieren nicht alle diesen einen Impfstoff ? Warum müssen diesen nicht alle produzieren?“, so die Schlussfrage. Warum ist das so, dass die Herstellung des Impfstoffes so lange dauert, obwohl es alleine in Deutschland unzählige Pharmaunternehmen gibt, die alle mit vielen Forschungsgeldern unterstützt werden? Und anders herum gefragt: Wenn alle Pharmaunternehmen an einem Impfstoff, der Produktion und Abfüllung, arbeiten würden, wäre die Pandemie dann schnell vorbei? Ist das wirklich so?                                                                                                                   Um der Frage nachzugehen, schien es erst einmal wichtig, zu klären, wer ein Anrecht auf das Originalpräparat, den Impfstoff, hat. Und das sind die jeweils an dem Arzneimittel forschenden pharmazeutischen Unternehmen, deren Rechte an ihrem Produkt durch den Patentschutz gesichert sind. Dieser garantiert eine auf 20 Jahre befristete exklusive Nutzung des Präparats und bietet damit (wirtschaftlichen) Schutz vor Nachahmern. Wenn aber der Patentinhaber einverstanden ist, können auch andere Hersteller das Patent gegen Lizenzgebühren ebenfalls nutzen. Die Leserfrage, warum nicht alle Unternehmen den Impfstoff pro-duzieren müssen, würde daher eine (gezwungene) Aufgabe des Patentschutzes voraussetzen. Durch den Lizenzzwang würde der Covid-Impfstoff als ein unentbehrliches Medikament zu einem öffentlichen Gut werden und wäre damit in Staatskontrolle. Mit dem Argument, schneller und günstiger produzieren zu können, wurde dies auch bereits politisch gefordert. Tatsächlich würde das Bevölkerungsschutzgesetz dem Bundes-gesundheitsministerium entsprechende Maßnahmen zur geistigen Enteignung von Unternehmen erlauben, um die medizinische Versorgung in der Pandemie sicherzustellen. Der Branchenverband der Phar-maindustrie hält dagegen, dass die Impfstoffherstellung zu anspruchsvoll sei. „Man kann nicht einfach beliebige andere Pharma-Unternehmen beauftragen, einen bestimmten Impfstoff herzustellen“, sagte Rolf Hömke, Verband Forschender Arznei-mittelhersteller (ZDF heute). Das sieht auch die politische Mehrheit so und spricht sich gegen einen „Lizenz-Vorstoß“ aus.                                                                                                   SPD-Bundestagsabgeordneter Falko Mohrs sagte, angesprochen auf den Auto-Vergleich: „Das wäre ungefähr so, wie wenn die gesamte Menschheit einen Tesla bräuchte und man dann erwarten würde, dass die deut-sche Autoindustrie binnen eines Vierteljahres die gesamte Verbrennerproduktion auf Elektroautos umstellen würde. Unrealisierbar. Man könnte der Industrie zwar vorschreiben, mehr Kapazitäten aufzubauen, ob wir deshalb schneller mehr Impfstoff zur Verfügung hätten, ist aber sehr fraglich.“ Dafür bräuchte es neben Know-how und den entsprechenden Produktionsanlagen vor allem Fachleute und Rohstoffe in ausreichendem Maß. „Die Ausweitung dieser Kapazitäten braucht Zeit.“Unterstützung erhält Mohrs von Dr. Stefan Dübel, Professor an der Technischen Universität Braunschweig und Institutsleiter für Biochemie, Biotechnologie und -informatik. Er urteilte über die Leserfrage: „Eine schöne Idee, doch der Haken liegt wie so oft in den praktischen Details“. Zwar könne VW relativ schnell einen Seat oder Skoda bauen, aber die Umstellung auf eine andere Automarke, auf einen LKW oder auf anderes technisches Gerät würde sehr viel länger dauern. „Sehr stark vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen, dass die verschiedenen Typen der Impfstoffe zueinander vergleichbar unterschiedlich sind wie ein Auto zu einem Kühlschrank oder einem Fernsehgerät – mit entsprechend unterschiedlichen Anforderungen an die Geräte, Prozesse und Ausgangsmaterialien für ihre Her-stellung und Reinigung. Dazu kommt, dass die Herstellungsprozesse für Medikamente bis ins Kleinste definiert und zertifiziert sind und jede kleinste Änderung darin geprüft und genehmigt werden muss – und das ist auch richtig so und sehr wichtig, denn es dient der Sicherheit der Patienten. Alleine dadurch ist eine Umstellung der Produktion auf ein anderes Arzneimittel deutlich aufwändiger als in der Autoindustrie.“

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Katharina Loof, geboren 1980 in Nordrhein-Westfalen, begann ihre journalistische Tätigkeit im Kölner Raum, bevor sie 2010 nach Schöningen zog. Die dreifache Mutter mag Dorf-Klüngel und Pflastersteine auf vollen Marktplätzen. Am Lokaljournalismus schätzt die Esbeckerin die Nähe zum Menschen. Die Karnevalistin tritt gerne mal zu stark auf’s Gas: sowohl im Fahrzeug als auch bei der Freigabe der Autokorrektur.