Sie nicht mehr alle (beisammen) haben. Diese Redewendung ist den meisten bekannt, ist sie doch mindestens 400 Jahre alt. Ein sehr früher Beleg für diese Redensart findet sich in einer der früheren Übersetzungen des Klassikers Don Quijote de la Mancha (ins Deutsche übersetzt als Don Kichote von der Mancha) von Miguel de Cervantes. Dort heißt es in der Ausgabe von 1648 „Santscho wurde fast ohnmächtig… und Don Kichote behielt seine Sinne nicht alle beisammen“. 

In den jüngeren Varianten werden die angesprochen Sinne ausgespart, oft heißt es nur noch er oder sie hat sie nicht mehr alle, doch mit „alle“ wird eindeutig Bezug auf die Sinne genommen. Wer sie nicht alle hat, handelt also dumm, unvernünftig und/oder verantwortungslos.

Doch welche Sinne sind damit gemeint? Die fünf Sinne, die schon Aristoteles definiert hat? Dieser beschrieb Riechen, Schmecken, Fühlen (im Sinne des Tastsinns), Sehen und Hören als die Sinne, die den Menschen die Welt erschließen. Mit denen er sich zurechtfinden, Kontakt knüpfen, Gefahren erkennen, aus denen er lernen kann. Um eben vernünftig und verantwortungsvoll handeln zu können. 

Gibt es ein „Ferngefühl“ oder ist das esoterischer Quatsch? 

Doch gibt es wirklich nur diese fünf Sinne? Ist das wirklich so? 

Was ist mit anderen Fähigkeiten, wie der Sinn der Vorahnung, die Fähigkeit Gefühle von anderen oder gar Energieflüsse wahrzunehmen? Ist das alles esoterischer Quatsch, wenn Menschen das Gefühl eines Déjà-vus zu haben meinen, wenn berichtet wird, dass Personen auch über viele Kilometer entfernt spüren konnten, wenn einer nahestehenden Person etwas zugestoßen ist? Oder der beklemmenden Gewissheit, beobachtet zu werden? 

Wissenschaftlich erklärt sind solche Wahrnehmungen nicht. Anders verhält es sich mit dem Gleichgewichts-, dem Sprach- und dem Schmerzsinn, die alle messbar sind und denen darüber hinaus eine bedeutende Funktion im Bereich der menschlichen Wahrnehmung zugesprochen wird. 

So kommt man auch ohne esoterische Mutmaßungen auf über fünf Sinne. Mit der Frage, welche Sinne den Menschen leiten und lenken beschäftigt sich die (traditionelle) Wissenschaft bereits seit Hunderten Jahren. Diejenigen Schriften, die sich einer Erweiterung der klassischen fünf Sinne widmen, sind allerdings eher im spirituellen Sektor angesiedelt. So wie die Sinneslehre von Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie (altgriechisch für die Weisheit des Menschen): Er fand 1916 zwölf Sinne, die er in Vierergruppen zusammenfasste (Die zwölf Sinne, Open Mind Akademie). Seine Ausarbeitungen finden immer noch Anwendung im pädagogischen wie auch im psychologischen Bereich der Hypersensibilität.  Neben den etablierten Sinnen (inklusive Sprach- und Gleichgewichtssinn) stellt Steiner den Lebenssinn, den Bewegungssinn, den Gedanken-, den Wärmesinn und den Ich-Sinn vor.

Bauch über Kopf? Wie sicher ist die Intuition? 

Besondere Diskussion ist aber in Bezug auf den sechsten sowie auf den siebten Sinn entbrannt. Werden doch beide als „außersinnliche Wahrnehmungen“ beschrieben (mentalpower.ch). Beide Sinne beziehen sich auf eine Intuition, wobei der sechste Sinn die Wahrnehmung im Jetzt und der siebte Sinn eine Vorahnung beschreibt.  Gemeint ist das (ungute) Bauchgefühl, das vor Menschen oder Situationen zu warnen scheint. Auch die Fähigkeit, zu erahnen, dass man beobachtet wird (und in diesem Fall auch meist genau sagen kann, aus welcher Richtung diese versteckten Blicke kommen) wird als Beweis für diese Sinne angesehen. Der siebte Sinn bezieht sich auf Träume und Visionen, die dann tatsächlich eintreffen. 

Auch das Déjà-vu-Erlebnis wird diesem Sinn zugeordnet. 

Tiere können Krankheiten „vorhersehen“

Und obgleich es keinen fundierten Beleg für diese „Super-Sinne“ zu geben scheint, wird die Behauptung, Tiere verfügten über eben jene zusätzlichen Sinne, als seriös angesehen. Haustiere riechen es, wenn ihre Bezugsmenschen krank werden, können gar epileptische Anfälle voraus„sehen“. Auch wurde schon häufiger beobachtet, wie Tiere weit vor Naturkatastrophen unruhig werden und sich, falls möglich, in Sicherheit bringen. Der Tsunami in Asien von 2004 forderte Tausende Menschenleben, jedoch sind nur wenige Tiere in den Fluten umgekommen, da sich zumindest die frei lebenden Tiere weit vor dem Eintreffen der Riesenwelle in Sicherheit gebracht hatten (einfachtierisch.de). 

Tiere nehmen die Umwelt einfach intensiver wahr

Nein, Tiere können nicht hellsehen. Wohl aber nehmen sie ihre Umwelt intensiver wahr als Menschen. Die Webseite Jagderleben erklärt dies mit der tierischen Fähigkeit, die elektromagnetischen Linien der Erde wahrzunehmen und ihren Ins-tinkt darauf auszurichten: Die Liste der Arten mit „Antennen“ für Magnetfelder beginnt bei Bakterien und reicht bis zum Menschen. Kompasstermiten bauen ihre Insekten-Wolkenkratzer“ streng in Nord-Süd-Richtung; Maikäfer orientieren sich beim Einschlafen im Winter an den Feldlinien der Erde. 

Mehr als 80 Prozent der Beutesprünge sind erfolgreich, wenn der Fuchs nach Norden oder Süden springt. Außerhalb dieser Achse erreicht der Jäger keine 20 Prozent Erfolgsquote. Und auch Rotwild orientiert sich in der Ruhe am häufigsten in Nord-Süd-Richtung aus, ebenso Rehe. Unterhalb von Starkstromleitungen liegen sie dagegen signifikant häufiger „ungeordnet“.  

Ob Schlammschnecke, Molch, Krebs, Schildkröte, Fisch, Vogel oder Säugetiere, sie alle erkennen „irgendwie“ Nord- und Südrichtung auch ohne Sonne, Mond und Sterne. Rätselhaft ist aber in den meisten Fällen immer noch das Wie.

Da auch Menschen rein aus Gründen der Evolution ebenfalls über die Magnetantennen verfügen, ließe sich eventuelle übersinnliche Wahrnehmungen mit elektromagnetischer Feinfühligkeit erklären. Vielleicht hat der Mensch, verwöhnt durch den Komfort der Moderne, schlichtweg verlernt, diesen Schwingungen zu folgen…

Der sechste Sinn, Körper im Raum: Die Tiefensensibilität

Aus rein wissenschaftlicher Sicht wurde mittlerweile zumindest der sechste Sinn bestätigt, auch wenn weder Magnete noch Intuition bei der Erklärung eine Rolle spielen. 

Der sechste Sinn, so ist es auf dasgehirn.info zu lesen, ist die Tiefensensibilität. Zuständig ist diese für die Vermittlung der Eindrücke über den Körper im Raum. So wissen wir – ohne hinzusehen, dass wir sitzen, dass unser linker Fuß gebeugt ist oder dass die eingenommene Kopfposition korrigiert werden muss. 

Das alles geschieht unbewusst, was ein Glück ist. Denn müssten diese ganzen Bewegungsabläufe bewusst wahrgenommen und gesteuert werden, wären die anderen Sinne schnell überfordert. 

Körper verfügt über eine Rückkopplungsschleife

„Die Informationen über Haltung, Bewegung oder Lage des eigenen Körpers erhält das Gehirn über so genannte Propriorezeptoren. Diese Sensoren sitzen in den Muskeln, Sehnen, Bändern und Gelenken und reagieren in unterschiedlicher Weise auf Druck oder Verformung. Aus den Signalen, die Propriorezeptoren an das Gehirn senden, leitet dieses Entscheidungen über mögliche beziehungsweise eventuell notwendige Positionsveränderungen des Körpers ab, sendet entsprechende Befehle an die Muskeln und schließt damit die Rückkopplungsschleife“, steht es bei dasgehirn.info geschrieben.

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Katharina Loof, geboren 1980 in Nordrhein-Westfalen, begann ihre journalistische Tätigkeit im Kölner Raum, bevor sie 2010 nach Schöningen zog. Die dreifache Mutter mag Dorf-Klüngel und Pflastersteine auf vollen Marktplätzen. Am Lokaljournalismus schätzt die Esbeckerin die Nähe zum Menschen. Die Karnevalistin tritt gerne mal zu stark auf’s Gas: sowohl im Fahrzeug als auch bei der Freigabe der Autokorrektur.