Schöningen. Das zum 1. Januar in Kraft getretene „Gute-KiTa-Gesetz“ steht für eine bessere, beitragsfreie Kinderbetreuung in ganz Deutschland, auf das jedes Kind ein Anrecht hat. In Schöningen sieht die Praxis aber anders aus: Rund 70 Kinder warten im Einzugsgebiet derzeit auf einen Betreuungsplatz. Mehr (finanzielle) Gerechtigkeit und gleiche Chancen für alle Kinder. Das zum 1. Januar in Kraft getretene „Gute-KiTa-Gesetz“ steht für eine bessere, beitragsfreie Kinderbetreuung in ganz Deutschland. Zusätzlich besteht seit bereits 1996 ein Rechtsanspruch auf Kindergartenplätze; seit sechs Jahren wurde dies auf die Krippenplätze ausgeweitet. Für die Kommunen bedeutet dies unter der Berücksichtigung der gesellschaftlichen und familiären Entwicklungen die Personal- und Qualitätsansprüche zu bedienen sowie Einrichtungen kindgerecht zu schaffen und auszustatten. Dafür unterstützt der Bund die Länder bis 2022 mit insgesamt 5,5 Milliarden Euro bei Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Qualität in der Kindertagesbetreuung und zur Entlastung der Eltern bei den Gebühren. Über 500 Millionen Euro kommen im Förderungszeitraum nach Niedersachsen – der Großteil des Geldes sei dabei für die Kommunen bestimmt, bestätigte Landtagsabgeordneter Jörn Domeier (SPD) auf Anfrage unserer Zeitung.
Die Nachfrage an Betreeungsplätzen steigt kontinuierlich an – entsprechend lang erscheint die Warteliste
Soweit die Fakten. Doch in der Praxis klafft zwischen der Soll- und Ist-Situation eine trotz aktiver kommunaler Arbeit traurige Diskrepanz: In Schöningen werden derzeit 60 Krippenplätze und 237 Kindergartenplätze von der Stadt, der Kirchengemeinde und dem DRK angeboten. Laut des städtischen Einwohnermeldebestands sind im Einzugsgebiet insgesamt 552 Kinder gemeldet (davon 199 Krippenkinder unter drei Jahren und 393 Kindergartenkinder im Alter von drei bis sechs Jahren). Entsprechend kann der tatsächliche Bedarf nicht gedeckt werden: auf den Wartelisten sind 48 Kinder im U3-Bereich sowie 30 Plätze im Ü3-Bereich (Stand März 2019) zu verzeichnen.
Eine genaue Auswertung mit Abgleich vorhandener Doppelanmeldungen wird zum nächsten Ausschuss für Bürgerdienste am Dienstag, 27. August, vorliegen. Eine Prognose für die kommenden Jahre sei schwer zu beziffern, sagte der städtische Direktor Karsten Bock. Vor allem im Krippenbereich sei die Entwicklung von der Familienplanung der jungen Generation abhängig. Generell, so Bock, sei von einer weiterhin steigenden Nachfrage auszugehen. „Bei Fortsetzen des derzeitigen Trends ist zu erwarten, dass ein erhöhter Bedarf durch Zuzüge von Mehrkinderfamilien besteht. Auch steigt die Nachfrage im Kindergartengartenbereich durch die angebotene Beitragsfreiheit.“
Dies sei auch die Erklärung, weshalb noch vor drei Jahren eine Kindergartengruppe im Astrid-Lindgren Kindergarten geschlossen wurde, erklärte die Fachbereichsleiterin Bürgerdienste, Claudia Backhauß: „Die Gruppe wurde 2016 in eine Krippengruppe umgebaut, um den Rechtsanspruch U3 zu sichern, der Bedarf war zu diesem Zeitpunkt weitaus höher als im Ü3-Bereich, wo sogar zahlreiche Plätze frei waren.“ Auch die Rolle der Frau sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf habe sich in den vergangenen Jahren geändert, was zu einer erhöhten Akzeptanz der „Fremdbetreuung“ führte und auch ein Grund für die steigende Nachfrage sei.
Karsten Bock: „Wir arbeiten mit Hochdruck an der Schaffung neuer Plätze“
„Wir arbeiten mit Hochdruck daran, neue Kindergartenplätze zu schaffen“, beteuerte Bock. Bereits im vergangenen Jahr wurden acht neue Plätze im Esbecker Kindergarten geschaffen. Zusätzlich plant die DRK-Krippe „Rumpumpel“ eine Erweiterung von zehn Kindergartenplätzen und auch im Neubaugebiet Hopfengarten soll bis 2022 eine weitere Kindertagesstätte mit bis zu 65 Betreuungsplätzen entstehen.
Doch das alleine wird nicht reichen. „Eine 100prozentige Auslastung werden wir nicht umsetzen können“, räumte der städtische Direktor ein. Zusätzlich zu dem begrenzten Platzangebot komme der ausufernde Personalmangel, dem dringend entgegengearbeitet werden muss. So bestätigte Diana Hein, Teamleiterin der städtischen KiTas: „Eine mögliche Unterbesetzung schwebt wie das Damoklesschwert über uns, im Notfall haben wir keine Personalreserven, auf die wir zurückgreifen könnten“. Für die in Planung stehenden Einrichtungen des DRK sowie der Kindertagesstätte im Hopfengarten werden zehn bis zwölf Fachkräfte benötigt. Und auch die kirchlichen Einrichtungen, wo durch Langzeiterkrankungen zwei Erzieherinnen wegen fehlender Vertretungskräfte nicht ersetzt werden, beklagen den Fachkräftemangel, wusste Backhauß zu berichten.
Duale Ausbildungsmöglichkeiten, ein leichterer Quereinstieg – Personalressourcen als Hauptproblem
Bezüglich des Fachkräftemangels sieht die Stadt Schöningen die Politik in der Pflicht: „Wieso darf jede Kommune nicht selbst ausbilden? Warum müssen sich Erzieherinnen während ihrer Ausbildung selbst finanzieren“, sind die geäußerten Kritikpunkte. Es sei also nicht nur das Geld, sondern grob umfasst „Kompetenzen“, an denen es laut Hein mangele. Die Kindergartenleitung sieht eine Anpassung der erzieherischen Aufgaben an den gesellschaftlichen Wandel als größte Herausforderung für die kommenden Jahre. Die Arbeit der Pädagogen habe sich verändert: „Der sozial-emotionaler Förderbedarf nimmt stark zu“, so das Urteil. Es gäbe immer mehr Kinder mit Auffälligkeiten, was eine Anpassung des Betreuungsangebotes sowie des Betreuungsschlüssels zur Folge haben müsste. Die Frage des HELMSTEDTER SONNTAG, ob auch die gestiegenen Anforderungen der Eltern an die Kinderbetreuung eine Rolle dabei spielten, wurden seitens Diana Hein bestätigt. Generell, so die Meinung der Fachexperten, leiteten die Erzieherinnen zusätzlich zu ihren pädagogischen Aufgaben zunehmend auch eine familiäre Beratung im Sinne einer Sozialarbeit.
Jörn Domeier: „Erzieher und Erzieherinnen, das ist nicht nur Beruf, das ist Berufung!“
Dies hat auch Landtagsabgeordneter Domeier erkannt, der betonte, wie wichtig es momentan sei, an vielen Stellen gleichzeitig zu arbeiten. „Erzieher und Erzieherinnen, das ist nicht nur Beruf, das ist Berufung – dies gilt für Schönlingen wie auch in anderen KiTas“. Auf Anfrage unserer Zeitung zur Problematik, schrieb uns Domeier: „Der Bedarf an Erziehern und Sozialassistenten steigt seit Jahren enorm und das schon vor Einführung der Kita-Beitragsfreiheit im Sommer 2018. Darauf muss nicht nur für Schöninger-Kinder reagiert werden. Zum Beispiel in dem die Ausbildung ohne Qualitätsverlust angepasst wird. Statt vier Jahre in der Schule zu sitzen, sollen angehende Erzieher künftig von Anfang an in den Kitas mitarbeiten und dafür bezahlt werden. Die Erzieherausbildung soll flexibilisiert werden, um den Personalmangel schneller zu mindern. Flexibilisierung aber ohne Qualitätsverlust. Mehr duale Ausbildungsmöglichkeiten, leichterer Quereinstieg, bessere Anerkennung anderer Abschlüsse, mehr Schulplätze, mehr Lehrer an den Berufsschulen und endlich die ersehnte Schulgeldfreiheit. Es verändert sich viel und ich denke zum Positiven“. Weiterhin sei sich Domeier der hohen Belastung der Erzieherinnen bewusst. „Darum ist es richtig, dass Geld in Niedersachsen für einen besseren Personalschlüssel zu verwenden und Zusatzkräfte einzustellen.“
Katharina Loof, geboren 1980 in Nordrhein-Westfalen, begann ihre journalistische Tätigkeit im Kölner Raum, bevor sie 2010 nach Schöningen zog. Die dreifache Mutter mag Dorf-Klüngel und Pflastersteine auf vollen Marktplätzen. Am Lokaljournalismus schätzt die Esbeckerin die Nähe zum Menschen. Die Karnevalistin tritt gerne mal zu stark auf’s Gas: sowohl im Fahrzeug als auch bei der Freigabe der Autokorrektur.